Ich war mitten auf meiner Reise durch den Nahen Osten: Nach einem Jahr und zwei Monaten erzwungenem Aufenthalt konnte ich Saudi-Arabien endlich verlassen. Aufgrund von staatlichen Corona-Beschränkungen hatte ich zuvor nicht ausreisen dürfen, dafür aber die Gelegenheit gehabt, im Land auch wirklich jede Stadt, jeden Berg und jede Wüste zu besuchen. Den ersten Teil meiner Reise kann man hier nachlesen: Mit dem Motorrad vom Libanon nach Saudi-Arabien.
Das nächste Land waren die Vereinigten Arabischen Emirate. Glücklich, nach mehr als einem Jahr endlich eine Grenze überqueren zu können, begann ich mit der Erkundung der Vereinigten Arabischen Emirate. Und hier wurde ich mit einer weiteren komplizierten Situation konfrontiert. Kurz nach meiner Ankunft im Land schloss Saudi-Arabien seine Grenzen erneut, und die einzige andere Grenze zu den VAE war der Oman, die ebenfalls seit mehr als einem Jahr geschlossen war. Ich steckte also abermals fest, doch diesmal in einem sehr kleinen Land, mitten im Sommer mit Durchschnittstemperaturen von über 40 Grad.
Aber auch hier habe ich meinen Platz gefunden. Ich blieb fünf Monate in den VAE und erkundete alle 7 Emirate, Strände, Wüsten und Berge, besuchte das berühmte Dubai und sogar die EXPO. Ich machte lange Wanderungen in der Wüste, übte mich im Gleitschirmflug und unternahm Kamelritte und viele Motorradtouren. Und all das bei Temperaturen von 40 bis 50 Grad, denn auch bei diesen Temperaturen steht die Welt nicht still.
Im Oktober 2021 öffnete der Oman endlich wieder seine Tore. Ich hatte vor meiner Einreise so viel Schönes über dieses Land gehört. Alle Araber sprachen mit großer Hochachtung und Bewunderung davon, insbesondere von seinen Menschen. Doch was ich dort entdecken konnte, übertraf alle meine Erwartungen.
Das einzige Problem am Oman ist, dass das Land fast zu viele Attraktionen zu bieten hat. Man kann so viele wunderbare Orte sehen und erkunden, so viel Kultur und Tradition erleben und leben, Spiritualität und sogar Mystik entdecken und aufnehmen – aber vor allem kann man hier unglaubliche Menschen kennenlernen. Ein Land, in dem man alles finden kann: Wüsten, Meer, Ozean, paradiesische Strände, atemberaubende Küsten, grüne und felsige Berge, Täler und Schluchten, spiegelglatte Seen, Lagunen, Inseln, Wanderpfade und Kletterwände, hohe und niedrige Temperaturen, Monsunwinde, Kamele, Kühe, Ziegen und Schafe, Kokospalmen, Bananen- und Mangoplantagen und Dattelpalmen. Vor allem aber verkörpert der Oman eine natürliche Authentizität, Einfachheit und Bescheidenheit, was ihn von allen anderen arabischen Golfstaaten unterscheidet.
Es braucht viel Zeit, um sagen wir nicht alles, aber zumindest die wichtigsten Aspekte dieses Landes kennenzulernen. Ich habe dort über vier Monate verbracht, diesmal ohne jegliche Einschränkungen, aber ich hätte mehr Zeit benötigt. Es ist ein Land, in das man sich unweigerlich verlieben wird. Zu den Höhepunkten meiner Reise zählte mein großes Abenteuer in der omanischen Wüste Rub al-Chali (auf Deutsch „Leeres Viertel“), in der ich über 500 km allein auf meiner Harley zurücklegte. Oder die zwei Wochen mitten in den Bergen mit mehr als 300 Kamelen: Gemeinsam mit den Hirten und Kamelbesitzern konnte ich die Wanderweidewirtschaft hautnah erleben – abseits von jeglicher Infrastruktur (wie Strom, Toilette, Dusche etc.). Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die zwanzig Tage, die ich an einem abgelegenen Strand, den Malediven des Oman, verbracht habe. Mit seinem weißen Sand, den rosafarbenen Lagunen, Tausenden von Zugvögeln und Flamingos, Schildkröten, dem türkisfarbenen Wasser und der reichen Meeresfauna ist dieser Ort wahrhaft surreal. Ein versteckter und wenig bekannter Fleck Erde, wo Natur noch Natur ist. Meine Tage dort habe ich damit verbracht, mich um den Campingplatz eines Freundes zu kümmern und die Strände von dem vielen Plastik zu säubern, das von der Flut angespült wurde.
Dann machte mir der Oman ein weiteres Geschenk. Er hat mir die Tür zu einem Land geöffnet, in das man derzeit nicht einreisen kann: Jemen. Aufgrund des Bürgerkrieges und konfliktreicher Beziehungen zu den Nachbarländern ist der Jemen für Touristen gesperrt. Dank meinen neuen Freunden und den Beziehungen, die ich in der omanischen Region Dhofar geknüpft hatte, konnte ich jedoch legal einreisen. Ich wohnte eine Woche lang bei einer jemenitischen Familie in einem kleinen Dorf in der Region Al Mahra, dem einzigen Gebiet, das derzeit im Jemen nicht gefährdet ist. Ein Teil des Landes, in dem die Zeichen des Krieges jedoch immer noch sichtbar sind: die Armut, das Fehlen von Gesetzen, Regeln und Infrastruktur, der Mangel an Arbeit und Verdienst, die sehr hohen Preise für Benzin und andere Versorgungsleistungen. Allerdings auch ein Teil des Jemens, in dem das Leben trotz dieser schwierigen Bedingungen weitergeht. Zumindest hier, ohne Bombardierungen und Angriffe.
Hier habe ich das Leben in einer durch den Krieg gezeichneten und geschundenen Welt kennengelernt. Und wunderschöne Berge, das Meer, die Küste und den Ozean. Man hatte mir gesagt, ich würde keine großen Unterschiede zwischen der Region Dhofar im Oman und Al Mahra im Jemen feststellen, da es sich um Nachbarregionen handle, die dieselbe Kultur teilen. Natürlich sind die Berge sehr ähnlich, das Meer, die Strände, die Kleidung und sogar die Musik und das Essen. Aber Das LEBEN ist nicht dasselbe und die Menschen hier sind nicht dieselben, auch wenn viele von ihnen zu Familien gehören, die ursprünglich aus dem Oman stammen. „Unser Leben ist nur eine Art Vorgeschmack auf den Oman“, meinte ein jemenitischer Freund zu mir. Das Leben hier ist nicht dasselbe, denn man muss jeden Tag neue Wege finden, um zu überleben und um sicher zu sein. Gleichzeitig muss man versuchen, das Leben trotz der entbehrungsreichen Umstände zu genießen. Auch das Essen ist nicht dasselbe, hier hat man viel weniger, alles wird sehr sorgfältig aufgeteilt, nichts wird verschwendet, mehr Menschen müssen davon satt werden und vor allem ist alles viel teurer. Ich war traurig, als ich den Jemen verließ, aber gleichzeitig auch sehr glücklich und voller Dankbarkeit, weil ich weiß, dass ich von nun an auch hier ein Zuhause habe, das auf mich wartet.
Nachdem ich den Oman und die Emirate ein weiteres Mal durchquert hatte, machte ich mich für den letzten Teil meiner Reise auf der Arabischen Halbinsel bereit: Qatar, Bahrain und Kuwait. Für diesen Teil der Reise hatte ich weniger Zeit, aber er war genauso intensiv. Über Kuwait verließ ich die Halbinsel, um mein letztes arabisches Land, den Irak, zu erkunden. Für mich eine der intensivsten Erfahrungen, die mich emotional sehr gefordert hat. Kaum hatte ich das Land betreten, sagte mir einer meiner neuen Freunde: „Der Irak ist das einzige Land der Welt, das sich vom besten in das schlechteste verwandelt hat.“
Nach dem Papstbesuch im März 2021 hat der Irak seine Tore für Touristen geöffnet. Mein erster Eindruck war, dass alle alles daran setzen, das beschädigte Image des Landes in der Welt wiederherzustellen. Ich habe hier zwei Monate verbracht und konnte das Land umfassend erkunden. Ich bin vom Süden her eingereist und habe dann langsam die umliegenden Städte und Dörfer besucht. Einige sind bekannt für ihre archäologischen Stätten, andere für historische Ereignisse und wieder andere für ihre Naturschönheiten. Und dann so viele andere einfache Orte, die sich alle ähneln, aber für mich von immenser Wichtigkeit sind, weil ich hier am besten das normale Alltagsleben in seiner ganzen Komplexität beobachten konnte, fernab vom Tourismus.
Mein erster Eindruck vom Irak war, dass er mir von allen von mir besuchten arabischen Ländern als das lebendigste erschien. Überall ist Leben, alles ist „wach“ und es herrscht ein reges Treiben. Glück gemischt mit Eifer bis zur Erschöpfung, sehr laute Musik... ein lautes Leben. Fast wie ein Versuch, all die dramatischen Ereignisse, die das Land erschüttert haben, all die erlebten und auch weit zurückliegenden Tragödien zu verhüllen. Wir Besucher möchten oft alle Einzelheiten ihrer schrecklichen Vergangenheit erfahren, im Detail wissen, wie schwierig alles war und noch immer ist. Aber hier wollen die Menschen diese Erinnerungen einfach verdrängen, und manche tun sogar so, als sei nichts passiert.
Der Irak bedeutet Mesopotamien, Babel, Babylonien, Zigurat, alte Zivilisationen, Bagdad, Kurdistan, ein in den Sümpfen schwimmendes Dorf, Saddam Hussein und seine Paläste, von Terroristen völlig zerstörte Städte, Karbala und Nadschaf, die wichtigsten Orte für die islamisch-schiitischen Gemeinden auf der ganzen Welt. Ich war vom Irak begeistert, noch mehr aber von seinen Menschen, deren Leid mich tief im Herz berührt hat.
Und so fand meine Reise in die arabische Welt ihren Abschluss. Ich hatte die einmalige Gelegenheit, das dortige Leben aus nächster Nähe kennenzulernen. Als Frau auf dem Motorrad habe ich das Privileg, Zugang zu beiden Welten zu haben: die der Männer, aber vor allem auch die der arabischen Frauen, eine geheimnisvolle Welt mit vielen Missverständnissen, Stigmatisierungen und tausend Vorurteilen. Ich konnte die Lebensrealität der arabischen Frauen von ihrer intimsten Seite erfahren, sie jenseits von Schleier und Abaya [ein typisches Frauengewand in der Golfregion, ein langes Kleid, das Hände, Füße und Kopf unbedeckt lässt] kennenlernen.
Und oft bin ich auf eine geradezu entwaffnende Normalität gestoßen: Beschämend bei dem Gedanken an all die Klischees, die es zu diesem Thema gibt. Arabische Frauen sind wundervoll, sie sind stark oder schwach, dominant oder gehorsam ... sie sind verschieden, sie sind normale Frauen wie du und ich.
Sicher, es gibt immer noch Unterdrückung und einige dieser Vorurteile haben reale Wurzeln... Doch dahinter steckt viel Normalität, in einer Kultur, die sich komplett von der meinen unterscheidet. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem politischen System eines Landes und dem wirklichen täglichen Leben. Berühmt-berüchtigte restriktive Regeln haben nichts mit der Art und Weise zu tun, wie Menschen in der Privatsphäre ihrer eigenen Wohnung leben.
Die schönste Erinnerung an meine Reise in die arabischen Länder sind die Tränen, die mir jedes Mal ins Gesicht schossen, wenn ich mich von einer Familie trennen musste. Die schönste und die schwierigste, denn überall wurde ich nicht als Gast empfangen, sondern als Teil der Familie behandelt. Jedes Mal, wenn ich ein Haus verließ, war es, als hätte ich das Haus meiner Eltern, meiner Brüder und Schwestern verlassen.
Eine über zweijährige Reise auf den Spuren einer neuen und überraschenden Kultur.
Ich habe die Menschen bei den wichtigsten Momenten ihres Lebens begleitet: Schwangerschaften, Geburten, Eheschließungen, Trennungen und Scheidungen, die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens und sogar der Tod. Ich war Zeugin wichtiger religiöser Anlässe und Rituale und konnte alles aus erster Hand erleben, einschließlich des Fastens im Ramadan (dreimal). Genau das war der Grund, warum ich mich für diese „Bildungsreise“ entschieden habe: Ich wollte mich mit der Welt „verbinden“, mich überall zugehörig fühlen. Und das ist in den arabischen Ländern passiert. Es ist wundervoll im Einklang mit unserer Umgebung zu atmen, dieselbe Sprache zu sprechen, im selben Rhythmus zu tanzen.