Carlo Pettinato, 30: Ich lebe für den Sport auf Rädern, mit und ohne Motor, am liebsten im Gelände. Seit 2017 bin ich in der Marketingabteilung von Dainese tätig. Seit ich denken kann, sind Enduro, Mountainbiking und Rallyes meine Leidenschaft. Nach Jahren auf der Rennstrecke habe ich mein Geländemotorrad um eine alte Honda Africa Twin ergänzt. Damit tat sich vor meinen Augen eine neue Welt auf, viel größer und bunter: die Welt der Erkundungen. Ich startete in Sardinien, eine wilde Region ganz in der Nähe meines Zuhauses, und jetzt träume ich von den Dünen der Wüste.
„Carlo, ich hab mir eine Africa angeschafft!“
Mein Freund Mirko, der meine Liebe zu Autos, Motorrädern und Mountainbikes teilt, hat nach jahrelangem Liebäugeln und Neid auf meine Africa Twin 750 aus dem Jahr 1993 endlich beschlossen, sich ebenfalls ein Exemplar in seine Garage zu holen. Eine RD04 von 1991, das Vorgängermodell zu meinem – aber zwischen den beiden besteht kaum ein Unterschied. Jetzt geht es darum, eine würdige Taufe zu organisieren.
„Ich fahre am 2. Juni nach Sardinien, wir werden uns die World Rallye anschauen und eine schöne Offroad-Tour im Nordosten der Insel machen. Bist du dabei?“
Verdammt, er hat keine Zeit. Wir müssen uns also etwas anderes überlegen. Aber das ist kein Problem, denn in weniger als einer Stunde Fahrzeit kann man von uns zu Hause aus zahlreiche Orte erreichen. Unser großer Klassiker ist eine Motorradtour auf der Hochebene von Asiago. Sie befindet sich in der Nähe, hat eine wunderschöne Landschaft mit historischen Sehenswürdigkeiten und zahlreiche Geländestrecken, die man offiziell nutzen darf und die bei jedem Wetter – auch bei Regen – befahrbar sind. Ja, das Schöne an dieser Gegend sind genau diese unbefestigten Straßen, die für jedermann zugänglich sind, sogar mit dem Auto, und in der Tat machen die Einheimischen davon täglich Gebrauch. Man benötigt nicht einmal besondere Offroad-Reifen: In gemächlichem Tempo kommt man fast überall hin – auch mit einem Motorrad, das eher für den Einsatz auf der Straße gedacht ist. Der ideale Ort für alle, die das Offroad-Fahren versuchen möchten, aber noch nicht viel Erfahrung damit haben. Mit dem richtigen Motorrad und den richtigen Reifen ist natürlich mehr Sicherheit garantiert und auch der Spaßfaktor ist um einiges höher.
Und da sind wir nun: unterwegs auf der A31 in Richtung Norden, um mit unseren alten Zweizylinder-Motorrädern einen Enduro-Touring-Tag zu genießen.
Nachdem wir unsere Tour mehrmals verschoben haben, ist es mittlerweile Mitte Juli, in der Ebene ist es heiß, aber in den Bergen ist das Wetter deutlich kühler und kann sich schnell ändern. Heute entscheide ich mich für eine belüftete Sommer-Touringjacke, die fantastische Dainese Desert, aber ich packe auch ihr winddichtes Futter sowie eine wasserdichte Jacke ein. Bei uns zu Hause ist das Wetter gut, aber man weiß ja nie. Zur Jacke kombiniere ich eine leichte Offroad-Hose und Adventure-Stiefel mit Gore-Tex®-Membran und einer Sohle mit exzellentem Grip, die Dainese Seeker – für ein optimales Gleichgewicht zwischen Schutz und Komfort. Dann der Adventure-Helm AGV AX9 Carbon mit Sonnenbrille unter dem Visier – unverzichtbar, zumindest solange die Sonne scheint. Mein Kumpel entscheidet sich für einen Vier-Jahreszeiten-Anzug, den alten, aber stets bewährten Dainese D-Explorer, perfekt für jedes Wetter, wobei er die Lüftungsschlitze vorerst offen lässt.
Die Motorräder muss man für eine solche Tagestour nicht groß vorbereiten: Eine Handyhalterung, um die Route kontrollieren zu können, ist ausreichend. Für eine Extraportion Spaß haben wir beide unsere Africa Twins mit aggressiven Offroad-Reifen ausgestattet, nicht ideal in puncto Haltbarkeit und auch nicht unbedingt notwendig, aber das Beste für das Fahren im Gelände.
Mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h – mehr trauen wir unseren alten Damen nicht zu – erreichen wir in weniger als einer Stunde den Fuße des Costo, Gemeinde Caltrano. Doch da wir nicht für extreme Kurven und dergleichen hier sind, wählen wir eine alternative Straße, um die Hochebene zu stürmen. Wir fahren in Richtung Calvene und dann hinauf nach Mortisa zur legendären „PS Cavalletto“, einer bei Autorallye-Fans äußerst beliebten Straße und ein großer Klassiker der Stadt Bassano. Eine wenig befahrene, relativ schmale, gewundene Asphaltstraße, nicht im besten Zustand, aber mit unseren Motorrädern sind Schlaglöcher und Schmutz kein Problem. Das Schöne an ihr ist die Landschaft, in die sie eingebettet ist, vor allem wenn man sich dem Gipfel des gleichnamigen Berges, dem Monte Cavalletto, nähert. Man fährt durch Wälder, vorbei an Weiden, und kann beobachten, wie sich die Vegetation mit zunehmender Höhe verändert, von hügelig zu bergig, mit Kiefern und anderen Nadelbäumen.
Am berühmten „Salto dei Granatieri“ biegen wir links ab zum „Giro delle Malghe“, einer schönen Asphalt- und Schotterstraße, die – nachdem sie den Wald verlässt – den Abhang entlang über die Hochebene führt und einen spektakulären Ausblick bietet. Das Wetter ist hier nicht so klar wie bei uns, es gibt ein paar tief hängende Wolken und Nebel, die an den Berghängen aufsteigen. Bedingungen, die das Ganze noch abenteuerlicher machen, obwohl wir nicht einmal 100 km von zu Hause entfernt sind. Wir passieren die Malga Serona, die Malga Foraoro, die Malga Sunio, die Malga Pau und die Malga Carriola. Das sind Abschnitte, die ich recht gut kenne, ich war schon mehrmals hier, aber in- und auswendig kenne ich die Strecken noch nicht. An einer Gabelung, rechts Asphalt, links ein Feldweg: Es erübrigt sich zu sagen, welche Variante wir wählen. Nach kurzem Überlegen kommen wir überein, dass wir in Cesuna in der Nähe der Kubelek-Hütte herauskommen müssten. Wir legen einige Kilometer auf einer gut befahrbaren Schotterstraße inmitten eines skandinavisch anmutenden Waldes zurück. In dieser Gegend der Hochebene von Asiago ist alles mehr oder weniger flach. Und schon sind wir da, wo ich vorhergesagt hatte.
Wir durchqueren das Zentrum von Cesuna und folgen der Provinzstraße bis zum Picknickplatz. Hier tauchen wir wieder in den Wald ein und fahren durch den Tunnel der ehemaligen Eisenbahnlinie, die von Piovene Rocchette nach Asiago führte. Die Geschichte der sogenannten „Vaca mora“, einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebauten und in den 1950er Jahren eingestellten Eisenbahnlinie, ist äußert spannend. Ursprünglich für den Transport zur Unterstützung der lokalen Industrie geschaffen, wurde sie während der Kämpfe des Ersten Weltkriegs ausgiebig für die Versorgung der Hochebene und schließlich für den Personentransport genutzt. Für Liebhaber dieser Art von „Archäologie“ lohnt es sich, sich genauer damit zu befassen.
Aber zurück zu unseren Africas und den Schotterstraßen, die wir auf der Hochebene von Asiago zurücklegen. Wir verfahren uns und finden uns in einem Labyrinth von Straßen und Gassen wieder. Die nächste Sehenswürdigkeit ist der englische Friedhof von Boscon, ebenfalls ein faszinierender und perfekt gepflegter Ort. Etwas weiter bei der „Bar Alpino“, einer einfachen Hütte mitten im Wald, folgen wir den Schildern zum Monte Corno. Das Wetter verschlechtert sich nun, die Temperatur ist mit 20 °C perfekt, aber der Himmel ist bedeckt und es sieht nicht gut aus.
Im Moment sind wir jedoch noch trocken und haben Spaß. Diese breiten, einfachen Geländestraßen mit weißem Schotter sind in jeder Hinsicht ein Spektakel: Egal, ob man sie mit Schwung im Stil einer Motorrad-Rallye zurücklegt, oder ob man die Atmosphäre und den Duft des Waldes genießt. Wir machen eine Mischung aus beidem, wir gönnen uns ein bisschen Spaß, genießen aber auch den Moment.
Ein kurzer asphaltierter Abschnitt zwischen der Granezza-Hütte und dem Denkmal für den unbekannten Soldaten auf dem Monte Corno, bevor es schließlich offroad in Richtung Turcio weitergeht. Das Wetter verschlechtert sich weiter, wir sind jetzt von Wolken umgeben und hören nicht weit entfernt Donner. Unsere Regenjacken haben wir griffbereit, aber wir beschließen zu warten, bis es wirklich zu regnen beginnt.
Wir müssen nicht lange warten, denn auch wenn zunächst nur ein paar spärliche Tropfen fallen, verwandelt sich die Lage innerhalb von fünf Minuten in ein richtiges Gewitter. Wir halten an, ziehen uns schnell die Jacken über und sind im Handumdrehen wieder startklar. Aber Vorsicht, es beginnt nun auch zu hageln. Ein kurzer Blick zwischen uns genügt, und kaum sind wir aus dem Wald heraus, suchen wir Zuflucht in der ersten Gaststätte, die wir finden. Alles in allem hatten wir Glück, wir waren nicht einmal zehn Minuten lang im Regen und nur ein paar Minuten im Hagel. Die Motorräder sind sicher unter einem Dach geparkt und wir sitzen gemütlich am Tisch. Immerhin sind es schon 20 Minuten vor eins und wir verspüren einen gewissen Hunger.
Aufgrund des nicht nachlassenden Regens dauert unsere Mittagspause etwas länger als gedacht, aber die Stimmung ist nicht schlecht und während wir miteinander plaudern, bestimmen wir auch, wie unsere Tour nun weitergehen soll. Langsam verziehen sich die Wolken, die Sonne kehrt zurück, und wir können erneut aufbrechen. In Richtung Gallio und dann hinauf zur Campomulo-Hütte. Nach Campomulo geht es erneut über eine Schotterstraße, die auch hier durch einen üppigen Pinienwald verläuft. Der Untergrund ist trotz des starken Regens hervorragend. Die Steine lassen das Wasser sehr gut versickern, es gibt nicht die geringste Spur von Schlamm, und der Regen hat sogar den gesamten Staub weggespült. Nur ein paar Pfützen, in denen wir wie kleine Kinder spielen können.
Die Aussicht vom Monte Fior ist spektakulär. Das Gewitter hat den Nebel aufgelöst, und jetzt, wo sich der Himmel geöffnet hat, genießen wir ein außergewöhnliches Panorama. In der Ferne sehen wir die Euganeischen Hügel, im Osten sind die Lagune von Venedig und die Adria zu erkennen; unter uns – wir scheinen fast hineinzustürzen – das Suganertal und dann das Grappa-Massiv. Wir fahren entspannt und völlig allein auf weiter Flur durch grüne Weiden. Einzig ein Hirte begrüßt uns mit einem Nicken und einem angedeuteten Lächeln.
Am Ende der unbefestigten Straße erreichen wir die Ebene der Marcesina – eine weite offene Fläche zwischen Venetien und Trentino, die größtenteils zur Gemeinde Enego gehört. Auch dieser Ort ist ein kleines Paradies, auch wenn die Verwüstungen durch das Sturmtief Vaia im Jahr 2018 ihre Spuren hinterlassen haben. Wegen unserer ausgedehnten Mittagspause verzichten wir auf den Umweg, der uns zurück nach Campomulo und dann zur Malga Mandrielle geführt hätte. Stattdessen fahren wir auf der Asphaltstraße bis ins Skigebiet Enego 2000 und danach weiter bis zum Aufstieg zum Forte Lisser. Eine weitere Schotterstraße erwartet uns: Zunächst geht es durch einen Buchenwald, in den die Sonnenstrahlen kaum vordringen, was zu Lichtspielen von seltener Schönheit führt. Dann verlassen wir den Wald und fahren vorbei an grünen Wiesen. Der Boden ist so vorbildlich gepflegt, dass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man zwischen den Kurven etwas mehr Gas gibt, um die Africa in Schräglage zu bringen. Wir halten uns zurück ...
Vom Gipfel des Monte Lisser aus hat man einen schlicht atemberaubenden 360°-Panoramablick. Außerdem können wir nun auch endlich die gesamten Dolomiten sehen. Vor uns ragt die Palagruppe auf, so als könnten wir sie berühren, und daneben erhebt sich die dunkle Lagorai-Kette. Wir fahren mit unseren Motorrädern um das Fort herum, halten an und stellen den Motor ab, um die Stille zu genießen, die nur durch das Peitschen des Winds durchbrochen wird, und um die historische Bedeutung des Monuments zu würdigen. Forte Lisser ist eine Festung, die zwischen 1911 und 1914 zur Verteidigung der Grenze zwischen Italien und Österreich-Ungarn erbaut wurde. Seit den 1990er Jahren ist sie im Besitz der Gemeinde Enego, die sich um ihre Restaurierung kümmerte, sodass sie heute in gutem Zustand besichtigt werden kann.
Ein Foto von der Landschaft, dann der Höhepunkt des Tages.
„Carlo, wie hoch ist der Druck in deinem Hinterreifen?“ „Ich habe ihn nicht überprüft, er müsste bei etwa 2 bar liegen!“ „Es sieht aus, als ob er ein bisschen zu wenig Luft hätte ...“
Aber es fehlt nicht nur ein wenig Luft. Der Reifen ist völlig platt. Ich beginne zu fluchen, doch gleichzeitig überlege ich sofort, wie wir das Problem lösen können (und vergesse dabei, wenigstens ein Foto von der Festung zu machen, schade ...). Indes entdecke ich auch einen hübschen rostigen Nagel – von dem ich hoffe, dass er zumindest ein altes Fundstück aus dem Krieg ist – und entferne ihn.
Wie repariert man also einen platten Reifen? Zum Glück ist heute Freitag und die Reifendienste haben geöffnet. Wir fahren in gemächlichem Tempo die Straße hinab, die wir hinaufgekommen sind, und ich nutze die Zeit, um nachzudenken. Bassano ist nicht so weit weg, dort würden wir mit Sicherheit einen Reifendienst finden; trotzdem beschließe ich, nach einer Möglichkeit auf der Hochebene zu suchen, auch wenn es schon nach 16 Uhr ist und die Tour sowieso zu Ende wäre, und so fahren wir in Richtung Asiago.
Die meiste Zeit der 23 Kilometer Asphalt verbringe ich damit, Herrn Mitas für die von ihm hergestellten Reifen zu danken. Dieser E09 ist praktisch ein Runflat, in der Geraden kann ich locker konstant 80 km/h fahren – und wenn ich wollte auch noch mehr. Nur in den Kurven muss ich ein bisschen aufpassen, weil das Fahren in der Schräglage nicht wirklich optimal ist. Ich spiele mit dem Gedanken, auf diese Weise bis nach Hause zu fahren, aber bei 100 Kilometern würde der Reifen unwiederbringlich verschleißen und dann müsste ich ihn wegwerfen. In Asiago finden wir einen offenen Reifendienst, ich montiere das Rad ab und wieder an, um die Sache zu beschleunigen, wechsle den Schlauch und wir sind bereit für die Rückfahrt.
Doch dann kommt der nächste Rückschlag: Kurz nachdem wir erneut losgefahren sind, reißt das Kupplungsseil. Ich versuche, es mit Humor zu nehmen: Mir bleibt noch die ganze Abfahrt vom Costo, um mir eine Strategie auszudenken, wie wir ab der Autobahnausfahrt weiterkommen ...