Ich bin Jahrgang 1990 und habe die Welt der Motorräder schon immer geliebt. Schon mit 12 habe ich Zeitschriften und Broschüren auf der Suche nach dem Motorrad meiner Träume durchgeblättert. Ab dem Zeitpunkt, als ich meine erste „richtige“ Maschine – eine Aprilia Tuono 50 – mein Eigen nannte, hatte ich immer mindestens ein Motorrad in der Garage stehen. Seit meinem allerersten Abenteuer – der kompletten Umrundung des Comer Sees – sind Motorradreisen ein wichtiger Teil meines Lebens: eine Möglichkeit, die Welt und sich selbst kennenzulernen und zu erkunden, zu leben und zu erleben.
Endlich ist er da, der Tag mit dem roten Kringel im Kalender, der Tag der Abreise. Wie immer bin ich aufgeregt wie ein Schulkind am Tag der Klassenfahrt und wache früher auf als geplant. Ich ziehe mich für einen Tag, der extreme Höchst- und Tiefsttemperaturen verspricht, im „Zwiebellook“ an und mache mich daran, meine KTM zu beladen. Irgendwie riecht es nach Wacholder: Wahrscheinlich bilde ich mir das ein, eine Erinnerung an die zahlreichen Male, als ich von/nach Sardinien aufgebrochen bin. Ob real oder nicht, es ist jedenfalls der unverwechselbare Duft des Urlaubs, der nun beginnt. Um 4:30 Uhr geht es los: In ungefähr 12 Stunden müsste ich in der Nähe von Auxerre in Frankreich sein.
Die ersten Kilometer führen mich durch den Vinschgau und den Schweizerischen Nationalpark, wo ich bereits die Qualität meiner Funktionskleidung zu schätzen weiß: Die Temperatur beträgt hier dauerhaft zwischen –8 °C und -11 °C. Gleich erwartet mich eine der gefährlichsten Erfahrungen, die ich je auf einem Motorrad gemacht habe: die Fahrt durch den Vereinatunnel, um den immer noch nicht befahrbaren Flüelapass zu umgehen. In der Praxis heißt das: Man lädt sein Motorrad auf einen Güterzug, ohne dass einem jemand sagt, wie und was man machen soll, und wartet auf oder neben dem Motorrad - ich habe nicht herausgefunden, welche Strategie die bessere ist - geduldig, dass der Zug einen in 18 Minuten bei durchschnittlich 100 km/h von einer Bergseite zur anderen bringt. Unbedingt selbst ausprobieren!
Ich durchquere weiter die Schweiz, vorbei an Zürich und Basel, und komme schließlich nach Frankreich. Von hier begleiten mich zu meiner Linken, mit Blick in Richtung Süden, die letzten Gipfel der Alpen, die ich bald endgültig hinter mir lassen werde. Die Kilometer auf der französischen Autobahn (mit sehr günstigen Tarifen für uns Motorradfahrer) sind ziemlich eintönig, mit Ausnahme einer besonderen Begegnung: Plötzlich taucht ein wunderschöner Opel Omega Lotus (Kenner wissen, wovon ich rede...) auf, wir überholen einander mehrmals und tauschen ein paar flüchtige anerkennende (und neidische) Blicke – vor allem meinerseits – aus. Glücklicherweise hat der Ostermontag mein Zeitgefühl nicht allzu sehr beeinträchtigt und es ist noch nicht allzu spät. Das bringt mich auf die Idee, von der Autobahn abzufahren und ein wenig durch die Landschaft des Burgund zu fahren, um zu meinem Tagesziel zu gelangen. Nebenstraßen, kurze Offroad-Strecken, blauer Himmel, der einen wundervollen Kontrast zu den leuchtend gelben Rapsfeldern bildet, 23° -24° C (jeder möge bitte selbst ausrechnen, welchem Temperaturunterschied ich tagsüber ausgesetzt war), auf den letzten Kilometern steigt die Vorfreude auf mein Etappenziel, das kleine Dorf Neuilly: Besser hätte der Start wohl nicht sein können.
Der Wecker läutet noch vor Sonnenaufgang und es geht auch gleich los: Wie immer, wenn ich an Bord eines Schiffes gehen muss, plane ich genügend Zeit ein. Das hat aber auch positive Seiten, weil es mir Momente von seltener Schönheit beschert. Die zauberhaften Landschaften des Vortags, auf denen noch der nächtliche Tau liegt, erstrahlen im Licht der Sonne, die am Horizont hervorlugt. Auf der Straße sind nur ich und mein Motorrad. Es ist einer der Momente, die dem Wort „Reise“ eine andere Bedeutung geben. Als die Sonne schon hoch genug am Himmel steht und der Verkehr auf den Nebenstraßen dichter wird, fahre ich zurück auf die Autobahn in Richtung Norden.
Wie heißt es so schön: Alle Wege führen nach Rom. Aber alle französischen (Auto-)Straßen führen nach… Paris! Um die Küste der Normandie, genauer gesagt Cherbourg, zu erreichen, wo meine Fähre nach Irland ablegt, muss ich durch die französische Hauptstadt fahren. Und das ausgerechnet in der morgendlichen Stoßzeit zwischen 8 und 9: Da ich im Dschungel der Mailänder Ringstraßen aufgewachsen bin, lasse ich mich davon aber nicht abschrecken. Vielmehr genieße ich es, ein paar recht interessante menschlich-soziale Phänomene zu beobachten: 1) Der Verkehr ist extrem (und das sagt ein Mailänder!). Die Straßen rund um Paris sehen eher aus wie ein riesiger, in die Länge gezogener Parkplatz, aber 2) Leuten, die auf zwei Rädern unterwegs sind, wird großer Respekt entgegengebracht. 3) Im Wesentlichen ermöglicht das ein ziemlich radikales „Ausfiltern“: Tatsächlich reicht es, die vier Blinker zu setzen, und es ist absolut normal, sich mit 60/70 km/h zwischen den Autokolonnen hindurch zu schlängeln. Vorsichtshalber bin ich immer irgendeinem Einheimischen nachgefahren, um das Risiko zu vermeiden, die Reise vorzeitig zu beenden. Als ich Paris fast schon in Richtung Nordwesten hinter mir gelassen habe, werde ich vom Verkehrsfluss mitgerissen und reihe mich versehentlich in einen Tunnel ein, von dem ich später erfahre, dass er für Motorräder verboten ist. Und im Tunnel wird mir der Grund dafür sofort klar: Ich muss mit gesenktem Kopf fahren, um nicht gegen die Schilder zu stoßen! Definitiv ein besonderes Erlebnis… Und zur Warnung: Es ist der Straßenabschnitt zwischen Velizy und Rueil, die maximal erlaubte Höhe sind 2 Meter.
Von hier an fliegen die Kilometer auf der Autobahn nur so vorbei. Als ich nach Norden und Richtung Meer fahre, spüre ich den Einfluss des atlantischen Klimas, das die Luft angenehm erfrischt. Wie schon gestern, habe ich einen zeitlichen Vorsprung. Deshalb gestatte ich mir jetzt, kurz vor Cherbourg, einen spontanen Abstecher zu der Küste, wo am D-Day die alliierten Truppen gelandet sind: Orte von außergewöhnlichem historischem Wert wie Omaha Beach und La Pointe du Hoc. Orte zum Bewundern in religiöser Stille, die bereits beim Anblick des Namens auf den Straßenschildern Ehrfurcht einflößen. In einem Strudel bittersüßer Gedanken versunken, die der Besuch dieses Küstenstrichs ausgelöst hat, komme ich am Hafen von Cherbourg an: Die „bittersten“ Gedanken lasse ich hinter mir, als ich mit Blick auf das Schiff, das mich morgen nach Irland bringen wird, ein Sandwich verdrücke. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Nach einer relativ gemütlichen Nacht auf den Sitzbänken des Schiffs gehe ich als allererster von Bord: Bereits im Sattel meines Motorrads beobachte ich die Brücke, die sich langsam senkt und die ersten Sonnenstrahlen durchlässt. Ein paar Sekunden später bin ich der erste Passagier, der seine Räder auf irischen Boden stellt. Wie jedes Mal bemerke ich, dass ich in einer Art unwillkürlichen Reaktion unter meinem Helm lächle: Es ist immer eine besondere Freude, das Meer zu überqueren und mich mit dem Motorrad an Orten zu befinden, die Tausende von Kilometern von zu Hause entfernt sind und während der tagelangen Reiseplanung nur vor meinem geistigen Auge aufgetaucht sind.
Von Rosslare, wo ich an Land gegangen bin, durchquere ich ganz Südirland bis Limerick (ca. 200 km), um von dort aus dem Wild Atlantic Way nach Norden zu folgen. Bis auf wenige kurze Momente ist diese Strecke nicht wirklich aufregend: Hier in Irland sind die Geschwindigkeitsbegrenzungen im Verhältnis zum Straßentyp ziemlich hoch (80/100 km/h für ausgesprochen ländliche Straßen). Das Gefühl, gelegentlich im Gelände zu fahren, ist also spürbar, aber die Tiere und ihr Kot, Traktoren, Gatter und dergleichen mahnen dennoch zur Vorsicht.
Allerdings stelle ich bald fest, dass die irischen Straßen doch ein bisschen stärker befahren sind als ich sie in Erinnerung hatte. Alle Zweifel verfliegen bei einem Tankstopp, wo der Tankwart bestätigt, dass mich mein Gefühl nicht trügt. Alle Schulen sind über die Osterferien geschlossen und das nutzen Tausende irische Familien, um die verschiedenen schönen Orte des Landes zu besuchen. Zum Glück habe ich alle Hostels und B&Bs, die mich heute und in den nächsten Tagen beherbergen werden, im Voraus gebucht.
Wahrscheinlich liegt es am dichten Verkehr, dass ich diesen ersten irischen Tag nicht wirklich genießen kann: Auf der Straße sind jede Menge Autos, und jeder Ort, der einen Halt wert ist, wird geradezu von Menschenmassen belagert. Sogar an den berühmten Cliffs of Moher halte ich gerade mal eine Viertelstunde an. Ich bin überrascht, dass selbst Küstenabschnitte, die noch bezaubernder sind als dieser (die ich auf meiner Irlandreise vor vier Jahren entdeckt habe), manchmal noch nicht einmal auf der Karte eingezeichnet sind. Meine ersten 200 km an der irischen Küste enden in Galway, leider mit mehr Enttäuschungen als schönen Erlebnissen. Aber mit der Hoffnung, dass es morgen besser wird.
Ich achte darauf, dass ich, während ich mich anziehe, nicht die anderen im Schlafsaal der Herberge wecke – ich habe offenbar ein Talent in dieser Disziplin, das eines Ninjas würdig wäre. Ich fahre wieder sehr früh los und hoffe, dass heute nicht wieder so ein höllischer Verkehr herrscht, wie am Vortag.
Schon nach den ersten fünfzig Kilometern merke ich, dass dieser Tag sich gänzlich anders zu gestalten scheint als der vorherige. Die vielen Resorts und Golfplätze, die die Straßen gestern säumten (einschließlich Donald Trumps Luxushotel mit Blick auf Doughmore Beach), sind bescheidenen strohgedeckten Cottages gewichen, die hellen Flecken auf den grünen irischen Weiden sind jetzt Schafe anstelle von Kühen. Ein rothaariges Kind, das auf das Dröhnen meines Zweizylinders aufmerksam wird, dreht sich um, als ich vorbeifahre, und grüßt mich aufgeregt. Ja, ich würde sagen, der Wild Atlantic Way gestaltet sich erstmals so, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Dieser Gedanke wird bei meiner Ankunft in Gurteen Bay zur Gewissheit: ein Strand mit feinem weißem Sand, das Meer kristallklar, ein Friedhof nur wenige Meter vom Ufer entfernt. Der Wind, der die Wellen kräuselt, und dazwischen ein Delfin-Paar, das gelegentlich aus dem Wasser auftaucht: Malerischer geht es fast gar nicht mehr, dabei ist es erst 11 Uhr vormittags und der Tag hat gerade erst begonnen.
Ich setze meinen Weg in Richtung Norden fort und fahre nach Clifden auf den „Connemara Sky Loop“, eine kurze, etwa 7 Meilen lange Panoramastraße. Sie zwingt mich, praktisch an jeder Kurve oder Hügel anzuhalten – und ich hasse es sonst, alle paar Minuten stehenzubleiben –, aber ich habe keine Wahl: Atemberaubende Landschaften mit Blick auf das Meer oder auf die Küste warten praktisch hinter jeder Kurve oder Steigung. 7 Meilen, die für sich genommen schon fast eine Reise wert sind, und es wird noch malerischer... langsam frage ich mich, wohin das heute noch führen soll!
Ich bin in Gedanken immer noch bei diesen fantastischen Postkartenansichten, als ich Omey, eine kleine Insel unweit des Festlandes, erreiche. Sie liegt so nahe, dass sie jetzt, bei Ebbe, nicht einmal mehr eine Insel ist: Tatsächlich sehe ich ein paar Traktoren, die (buchstäblich) über das Meer auf die Insel fahren. Ich wäge die Situation genau ab und kontrolliere zu Fuß: Ja, der Sand ist eindeutig sehr nass und ein wenig weich, hie und da gibt es Meerwasser-Pfützen. Ich habe zwar keine extremen Offroad-Reifen und das Motorrad ist beladen und daher ziemlich schwer. Aber... wann werde ich wieder die Gelegenheit haben, mit dem Motorrad auf dem Meeresgrund zu fahren? Also rauf auf den Sattel und los! Ich lege ab (?) in Richtung Omey Island. Das beschert mir eines der eindrucksvollsten Fahrerlebnisse, die ich je hatte. Ich kehre auf demselben Weg zum Festland zurück, mit dem Motorrad und dem Gepäck voller Sand und Meerwasser (das breite Lächeln unter dem Helm kann man sich leicht dazu denken).
Ich fahre weiter und hoffe zum ersten Mal, seit ich hier bin, bald einen ordentlichen Regenguss abzubekommen, damit alles abgewaschen wird. Als die Gebirgsketten des Connemara-Nationalparks zusammen mit ein paar grauen Wolken am Horizont auftauchen, denke ich, dass die „Dusche“ bald kommen wird. Aber stattdessen wird meine Hoffnung von der Sonne zunichte gemacht, die sich verschmitzt hinter den Wolken hervor schiebt. Nicht weiter schlimm. Ich nutze ihre Anwesenheit, um über den Killary Fjord zu fahren, einen wunderschönen Fjord, der mich an isländische Landschaften erinnert, und der die natürliche Grenze zwischen den Grafschaften Galway und Mayo bildet.
Die Grafschaft ändert sich, nicht aber die spektakuläre Landschaft um mich herum: Ich erreiche Carrownisky Beach, das lokale Surf-Mekka, über einen kleinen Abstecher ins Gelände (den ich extra einlege, um das Motorrad in ein paar Furten mit Süßwasser zu reinigen, man gelangt auch über asphaltierte Straßen dorthin). Ich bin von der Schönheit des Orts geradezu überwältigt: ein endlos weiter Strand, Wellen, die sich übereinander türmen, so weit das Auge reicht, der Wind, der, wenn man den Helm abnimmt, den feinen Geschmack von Meersalz auf den Lippen hinterlässt. Jetzt gibt es nur eines: Hinsetzen, das Motorrad neben einem betrachten und den Moment genießen, den man gerade erlebt.
Der Augenblick mag noch so schön sein - ich habe noch etwa 130 km vor mir, um zum bereits gebuchten Hostel auf der Insel Acaill zu gelangen. Ich möchte sie erkunden, bevor ich zum Hostel fahre, auch, um den Sonnenuntergang und die dazugehörige Stimmung zu genießen. Ich fahre also ziemlich zügig auf die Insel. Dabei komme ich an bezaubernden Orten wie Croagh Patrick vorbei, aber… nach diesem Tag sind mir mittlerweile die Adjektive ausgegangen. Achill Island, seine Küsten, seine Straßen mit Blick auf das Meer, seine Weiden, seine Dörfer sind allein schon eine Reise nach Irland wert. Ohne Wenn und Aber: Möchten Sie den Wild Atlantic Way sehen, einen mehr als authentischen Einblick in das „echte“ Irland? Dann müssen Sie hierher kommen. Malerischer geht es nun wirklich nicht mehr. Ich wiege mich im Takt der Kurven der Straße, die zum Hostel führt, während die Sonne im Meer versinkt, und denke, während ich das berühmte Lied der Gruppe 883 summe, dass man wirklich nicht mehr braucht als „einen Tag wie diesen“.
Nachdem ich beim Verlassen des Hostels erneut meine Ninja-Fähigkeiten unter Beweis gestellt habe, lasse ich die wunderschöne (ja, ich wiederhole mich) Insel Acaill hinter mir und fahre in Richtung des Tagesziels, Donegal, eine Route von etwa 500 km. Die ersten Kilometer führen durch mehrere Torfmoore und die Landschaft ist etwas langweilig. Dass hier nicht viel Verkehr durchkommt, wird mir klar, als ich tanken muss. Mein Tank ist fast leer und die einzige durchgehend geöffnete Tankstelle, die ich finde, hat sechs Säulen für Diesel und nur zwei für Benzin, die einzigen Zapfsäulen, an denen man mit Kredit-/Debitkarte tanken kann, sind die für Diesel. Ich habe keine Alternative, ich muss warten, bis die Tankstelle um halb neun Uhr öffnet, also nutze ich die Gelegenheit, um ein ausgiebiges Frühstück mit lokalem Käse zu mir zu nehmen, den ich seit dem Vortag mit mir herumschleppe.
Nachdem ich mich selbst und das Motorrad versorgt habe, mache ich mich zielstrebig auf zur Landzunge Erris Head. Ein Gebiet mit sehr eindrucksvollen Klippen, das ich insbesondere dann empfehlen kann, wenn jemand eine Wanderung machen möchte. Für Motorradfahrer hat es nicht viel mehr zu bieten, als ein paar interessante Ausblicke auf die Halbinsel unmittelbar südlich des eigentlichen Kaps.
Der Küstenabschnitt, den man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte, liegt hingegen östlich von Erris Head: Downpatrick Head mit seinem weltberühmten Felsensymbol der Grafschaft Mayo ist absolut einen Stopp und die Zeit wert, um Fotos aus verschiedenen und unterschiedlichen Blickwinkeln zu machen. Man befindet sich hoch oben über dem Meer, dessen Farbe von Grün ins Blaue übergeht und die Wellen brechen sich tosend an den Klippen, auf denen nur ein paar waghalsige Vögel ihre Nester bauen.
Dann sitze ich wieder auf meinem Motorrad, es gibt keine Klippen mehr, aber etwas weiter östlich erwartet mich ein wunderschöner Strand: Lackan Bay, der bei Ebbe noch spektakulärer wird, sieht aus wie eine riesige Sandfläche, die auch zu einer Spritztour einladen würde, aber in diesem Fall siegt, anders als gestern, die Vernunft. Ich begnüge mich mit ein paar Fotos und mache mich wieder auf den Weg, um die Grafschaft Mayo endgültig zu verlassen und nach Sligo zu fahren.
Viele sagen, dass Mayo bei Sonnenschein die schönste Grafschaft des Landes ist, aber das ist ein „Problem“, das ganz Irland hat. Was soll ich sagen? Bisher kann ich dem nur zustimmen. Die kilometerlange Küste der Grafschaft Sligo hat wenig zu bieten, wohl auch, weil die (Pflicht-)Strecke größtenteils der Autobahn folgt, von der man nur wenige Abstecher machen kann. Sligos berühmter „flacher Berg“ (Benbulbin) und die Mullaghmore-Landzunge, die einen Umweg von der Autobahn wert ist, bieten - auch wenn man sie nur von der Straße aus sieht - ein paar emotionale Momente.
Von hier aus sind es nur noch etwa fünfzig Kilometer bis nach Donegal, und damit beende ich meine Route (für diese Reise) auf dem Wild Atlantic Way. Vor vier Jahren hatte ich den Abschnitt von Donegal nach Norden zurückgelegt, so dass der letzte Teil dieser schönen Straße, den ich – sicherlich in sehr naher Zukunft – zurücklegen werde, weiter südlich in der Gegend von Cork liegt. Morgen werde ich nämlich nach Nordirland fahren, um am ältesten Rennen der National Road Racing Championship teilzunehmen, dem Cookstown 100, das dieses Jahr sein 100-Jahr-Jubiläum feiert. Nachdem ich bereits vor vier Jahren dort war, freue ich mich wie ein Kind beim Gedanken daran, dass ich die Rennen und diese einzigartige Atmosphäre bei diesen Road Races noch einmal genießen kann. Eine Kultur, die Lichtjahre vom gängigen Verständnis von Motorrädern entfernt ist. Ich kann es kaum erwarten, wieder einmal darin einzutauchen.
Wenn ein Road Race stattfindet, macht das ganze Dorf mit. Stellen Sie sich eine Volksfest-Atmosphäre wie bei einer typischen italienischen „Sagra“ vor, wo jeder, wirklich jeder, auf irgendeine Weise an der Organisation der Veranstaltung beteiligt ist. So habe ich vom kostenlosen Parkangebot der presbyterianischen Kirche von Cookstown profitiert: Ich habe das Motorrad geparkt, mir etwas Bequemeres angezogen, mein Gepäck in der Kirche deponiert und man bot mir ein Frühstück mit irischen Würstchen an – alles gratis. Falls nötig, würde ich abends noch duschen können, sagte man mir, bevor ich mich nach dem Road Race wieder auf den Weg mache.
Von der Kirche aus laufe ich zu Fuß zur „Rennstrecke“. Ein traumhafter Tag mit strahlend blauem Himmel, keinerlei Anzeichen von Regen am Horizont: eine hervorragende Nachricht für Fahrer und Zuschauer. Nachdem ich das „Paddock“ zu Fuß erkundet und verschiedene Orte begutachtet habe, beschließe ich, mich auf der Hauptgeraden kurz hinter der Start-/Ziellinie zu positionieren. Das hat den Vorteil, dass ich beobachten kann, was vor sich geht, und die Motorräder ein paar Meter von mir entfernt vorbeirasen sehe, mit Geschwindigkeiten, die schnell die 250 km/h-Marke überschreiten. Nicht schlecht, oder?
Das Programm umfasst ganze 14 Rennen in verschiedenen Kategorien – von Oldtimern bis zu modernen Superbikes. Dieser Tag und derartige Tage im allgemeinen sind eine Huldigung an die Götter des Motorradsports. Wohin man auch blickt, die Leidenschaft ist echt und greifbar: So bleibe ich die ganze Zeit über auf meinem Posten, in Gesellschaft von zwei älteren Herren, die mir zwischen den Rennen Ratschläge geben, wie man in Schottland, das angeblich voller Radarfallen ist, Strafzettel für zu schnelles Fahren vermeidet, und unterhalte mich mit ihnen über Motorräder und die Leistung der Fahrer „auf der Piste“. Alle sind wie eine große Familie: Keiner, der in der ersten Runde nicht in das fröhliche Gelächter einstimmt, während die Motorräder so schnell wieder aus dem Blickfeld verschwinden, wie sie gekommen sind. Keiner, der beim Anblick einer roten Fahne nicht für ein paar Sekunden den Atem anhält und hofft, dass es nur einen technischen Defekt gibt. Keiner, der nicht den Geruch aus dem Auspuff einer 125er GP-Maschine genießt, die keck neben den moderneren – aber anonymen – Moto3-Modellen in der Startaufstellung steht.
Etwa neun Stunden Rennen vergehen auf diese Weise: ohne zu merken, dass man die ganze Zeit am selben Ort gestanden hat. Ich habe es sogar geschafft, mir einen Sonnenbrand zu holen, und das in Nordirland! Das zeigt, was für ein Zauber solchen Veranstaltungen innewohnt.
Am Ende des Tages kehre ich zur Kirche zurück, ziehe mich wieder um und mache mich auf den Weg zu meinem heutigen B&B, etwa fünfzig Kilometer von hier entfernt und in einer strategischen Position, um morgen früh schnell zum Schiff nach Schottland zu gelangen. In Irland war ich zuvor schon einmal gewesen, aber ab morgen in Schottland wird alles komplett neu für mich sein. Ich kann es kaum erwarten.
Ich steige wieder auf das Motorrad, aber erst nachdem mir die unglaublich nette Inhaberin des B&B zwei riesige Sandwiches mit Schinken und Käse in die Hand gedrückt hat. Außerdem hatte sie es sich nicht nehmen lassen, einen ganzen Stapel Kleidung für mich zu waschen. Sie verabschiedet sich herzlich und sagt fast mahnend zu mir: „Schottland ist wie Nordirland, aber die Leute sind deutlich weniger gastfreundlich.“ Insgeheim denke ich mir, dass sie wohl viele Orte auf der Welt als ungastlich bezeichnen würde, wenn es für sie selbstverständlich ist, Gäste mit leckeren Sandwiches vollzustopfen und ihre Wäsche zu waschen (und zwar alles kostenlos).
Jetzt bin ich auf der Fähre über die Irische See, dahinter wartet Schottland...
Falls nun ein paar logistische/organisatorische Fragen aufgetaucht sind, werde ich versuchen, diesen in den nächsten Punkten vorzugreifen.
Nach der Planung der Route habe ich dementsprechend die Unterkünfte gebucht. In vielen Fällen hätte ich durchaus mehr Kilometer am Tag bewältigt. Das hat mir aber einen gewissen „Spielraum“ für spontane Umwege oder Ergänzungen geschaffen. In jedem Fall kann man durch die Buchung im Voraus eine kurzfristige Suche nach einem B&B oder Hostel vermeiden. Zudem fiel meine Reise mit einer Reihe von Feiertagen in Irland zusammen, die ich nicht berücksichtigt hatte. Wenn ich bis zum letzten Moment gewartet hätte, wäre ich sicherlich auf größere Schwierigkeiten gestoßen oder hätte die Reiseroute erheblich ändern müssen. Und man sollte auch bedenken, dass es bei einer Reise, die man alleine unternimmt, nicht schlecht ist, wenn jemand am Ende des Tages auf einen wartet.
Bei den Reifen habe ich mich für einen Kompromiss entschieden, einen Straßen-Enduro-Reifen, der lange Strecken auf Asphalt aushält, ohne zu schnell zu verschleißen, mir aber gleichzeitig die nötigen Abstecher ins Gelände erlaubt. Wie die ziemlich schlammige Extratour auf der Isle of Islay. Vielleicht noch wichtiger ist auf einer solchen Reise die Auswahl der Kleidung. Ich hatte es mit Temperaturunterschieden von 35 °C zu tun, das war ausgesprochen ungewöhnlich. Dank der modularen Kleidung, die ich gewählt hatte, habe ich das aber bei maximalem Komfort bewältigt. Eine oder mehrere Schichten rasch an- oder ausziehen zu können, ist der Schlüssel, um nicht unter Hitze oder Kälte zu leiden. Es war pures Glück, dass ich keinen starken Regen erlebt habe, aber in diesen Gegenden ist es zu jeder Jahreszeit gut, ein Regen-Kit oder einen wasserdichten Anzug dabei zu haben, selbst wenn man einen Gore-Tex®-Anzug oder ähnliches trägt. Es ist auch wichtig, dass ein solches Kit in einer Tasche oder einem Rucksack verstaut ist, die einfach zugänglich sind. Und noch ein kleiner Hinweis auf etwas, woran man bei den Vorbereitungen kaum denkt: In Irland und im gesamten Vereinigten Königreich fährt man auf der linken Straßenseite. Daher empfiehlt es sich, die Gegenstände, die man am häufigsten verwendet, in der linken Motorradtasche zu haben, damit man bei einem Halt nicht mitten auf der Straße stehen muss.