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    Auf erdrutschgefährdeten Straßen und schneebedeckten Pässen zwischen den Pyrenäen und den Alpen bis zu den atemberaubenden Klippen am Atlantik

    Von Laurent Cochet | 01 September 2022 | 1 min
    Motorrad: Honda NT 1100
    Kilometer: 8.307 km
    Schwierigkeit: mittel, die NT ist kein Motorrad für Gelände oder Schnee
    Dauer: 19 Tage
    Jahreszeit: April
    Wetter: alle Arten
    Temperaturen: 0°C - 20°C
    Erforderliche Ausrüstung: Thermounterwäsche mit laminierter undurchlässiger Membran, zusätzlicher Regenanzug, Ersatzhandschuhe, GPS-Navigationssystem, Landkarte 1:220.000
    cochet

    Laurent Cochet

    Der Autor

    Als leidenschaftlicher Motorrad- und Reisefan treffe ich gerne Menschen in Frankreich und auf der ganzen Welt. Eines Tages habe ich einen Weg gefunden, um diese drei Elemente perfekt miteinander zu verbinden: Geschichten erzählen. Ob ich Bücher verfasse, in einem sozialen Netzwerk poste oder Videos für YouTube mache - in erster Linie bin ich ein Geschichtenerzähler.



    Ich befinde mich mitten auf meiner „Contour de France“ – nicht zu verwechseln mit der „Tour de France“, wie man sie mit dem Fahrrad macht. Hier liegt die Betonung auf dem Wort „Contour“, Umriss! Ich habe mir dieses Mal zum Ziel gesetzt, mit meiner Honda NT1100 die Landesgrenze entlangzufahren und dabei überall zu versuchen, die Straßen zu wählen, die am nächsten an der Grenze liegen – auch wenn sie sehr schmal und kurvenreich sein sollten. Eine schwachsinnige Idee, mag man meinen. Aber das stimmt gar nicht! Auch wenn die Gesamtlänge der Grenzen Frankreichs nur etwas mehr als 6.000 Kilometer beträgt, ist die von mir gewählte Route über 8.000 Kilometer lang! Wie ist das möglich? Ganz einfach: Da es oft keine Straße entlang der Grenze gibt, muss man erfinderisch sein und improvisieren können, zwischen Sackgassen, unbefestigten Straßen, die zu Enduro-Trails werden, und so weiter. Ich bin von Paris aus losgefahren und wählte zunächst die Straße nach La Rochelle am Atlantik. Von dort ging es weiter nach Süden, um die Gironde-Mündung herum, dann in Richtung Baskenland, zur spanischen Grenze und zu den Pyrenäen. Den ersten Teil meiner Reise kann man hier nachlesen: Mit Lolo Cochet durch Frankreich, Teil 1: von Paris bis zu den Pyrenäen 

     

    Eine Enduro-Tour mit der NT1100 

    Bei Aldudes ging es dann wirklich hinauf in die Berge. Und hier begannen die Komplikationen. An einer Kreuzung zersägten zwei junge Männer mit der Kettensäge zwei Bäume, die gerade von der anderen Straßenseite auf die Straße gestürzt waren. Rechts befand sich ein Schild mit der Aufschrift „Straße gesperrt“. Doch einer der Jungs sagte mir, wir könnten passieren. „Es gab nur einen kleinen Erdrutsch ...“ Sowas sollte man mir nie sagen. In Wirklichkeit war es dann eigentlich gar kein so großes Abenteuer. Es stimmt schon: Vor allem an zwei Stellen sah es so aus, als hätte ein Monster in den Asphalt gebissen. Mit dem Auto wäre man natürlich nicht vorbeigekommen, aber eng an der Felswand entlang hatten wir mit der NT1100 keine Probleme. Ich dachte: „Alles gut“, bis wir auf einen riesigen Geröllhaufen stießen. 

    Dort war der Berg direkt auf die Straße gestürzt. Fast wie aus einer Folge von Les Routes de l'impossible („Riskante Routen“). Marie und ich begaben uns zu Fuß auf Erkundungstour. Natürlich handelte es sich hier um keine Autobahn, nicht einmal um eine Straße, die man unbedingt empfehlen würde – aber inmitten des ganzen Chaos gab es einen Weg, der zweifellos von Enduro-Bikes geschaffen worden war. Ich habe mein Glück versucht, aber nur nachdem ich sicher war, das Hindernis auch von der anderen Seite her überwinden zu können. Doch das war noch nicht alles, das Schlimmste sollte noch bevorstehen. 

    Ich aktivierte die Traktionskontrolle, legte den ersten Gang ein und die NT1100 legte einen guten Start hin. Das einzige Problem: Nachdem ich das Hindernis überwunden hatte, führte mich die Straße in einen Graben, und es war nicht einfach, wieder herauszukommen! Am Ende haben wir es geschafft. Direkt nach Esterençuby fuhren wir direkt an der Grenze auf einer wegen Schnee gesperrten Straße. Die Temperaturanzeige am Armaturenbrett zeigte nun zwei Grad an und es begann zu schneien, bis die Straße mit weißem Schnee bedeckt war. Wir fuhren vorsichtig und langsam weiter, bis wir eine Weggabelung erreichten. Links ging es hinab nach Iraty. Rechts ging es weiter bergauf. Da ich nicht ganz dumm bin, war mir klar, dass unser Abenteuer hier zu Ende war. Also machten wir uns auf den Weg nach Iraty. Der Schnee, der auf unsere Displays fiel, schmolz sofort zu Wasser. 

    Ausflug ins Gelände mit einer perplexen NT
    Ausflug ins Gelände mit einer perplexen NT

    Dann erneut dasselbe Problem. Col du Pourtalet: Geschlossen! Also blieben wir im Tal und mieden so gut wie möglich die Hauptstraßen. Erst kurz vor Andorra konnten wir erneut den Versuch wagen, „uns wieder den Gipfeln zu nähern“, ohne dabei im Schnee stecken zu bleiben! An dieser Stelle empfehle ich allen Leserinnen und Lesern den wunderschönen Col de Latrape. 

    Collioure, 956 Kilometer später! Marie war vom Sattel und Komfort der NT1100, deren Hinterradfederung wir leicht haben anpassen lassen, begeistert. Das Motorrad ist sicherlich flexibler, aber trotzdem robust und bietet zusätzlich mehr Komfort in Bezug auf die Stoßdämpfer. Bei einer Fahrt zu zweit erfüllt auch der Motor der Africa Twin seinen Zweck, er spricht super auf jede Art von Beschleunigung an. Die NT bleibt eigentlich immer sehr beweglich, sie reagiert gut und ist sowohl alleine als auch zu zweit einfach zu fahren. Als Entschädigung für diese etwas waghalsige Fahrt kehrten wir in Collioure in ein gutes Fischrestaurant ein.  

      

    Die Alpenpässe und der Col de la Bonette zwischen Schnee und Talsperren 

    Ich muss sagen: Nach den Pyrenäen, entlang der Mittelmeerküste, gibt es nach Narbonne wirklich traumhaft schöne Vogelschutzgebiete. Die Chalets von Gruissan Plage sind wirklich sehenswert. Die Camargue ist wunderschön, auch die kleine Fähre von Sauvage (der Kapitän der Fähre ist etwas speziell, vielleicht sogar ein wenig unfreundlich). Die einzigartigen Villen mit Blick auf Saint-Jean-Cap-Ferrat und Beaulieu-sur-Mer gleichen einem Paradies. Aber mal ehrlich: La Grande Motte, Agde und Valras würde ich nicht gerade als Vorzeigeorte bezeichnen ... In Menton ging es dann bergauf, um nach Lille zu gelangen. Auf dem Weg konnte ich die Alpen, das Jura-Gebirge und die Vogesen kennenlernen.  Herrlich, oder? Ja, solange die Pässe geöffnet sind. 

    Ich muss zugeben, ich habe meine Methode etwas geändert. Anstatt mich von meiner spätabends geplanten Route leiten zu lassen, habe ich mir eine sehr schöne Straßenkarte aus Papier im Maßstab 1:220.000 gekauft. Eine, auf der die Alpenpässe eingezeichnet sind. Die man abends in der Unterkunft ausbreitet und im Stehen konsultieren muss. Von oben, wie in ein Helikopter, um die Lage richtig zu sehen und einschätzen zu können. Danach bin ich ins Internet (ja, die Moderne kann zur Verbündeten dieser guten alten Karten werden), um zu überprüfen, welche der Pässe aktuell geöffnet waren. Castillon, Turini, Col Saint Martin, Col de la Couillole: offen! 

    Dies sind die möglichen Pässe, um nah an der italienischen Grenze zu bleiben. Doch es gab einige Hinweise, dass auch der Col del la Bonette in Kürze geöffnet werden könnte. 2.715 m, die höchste Straße Europas. Verlockend, nicht wahr? Seit Beginn dieser Reise bin ich auf meiner Strecke gefahren, habe sie umfahren, umrundet, neu interpretiert und geplant. Wäre es nicht schön, noch ein wenig weiterzuspielen? Und wenn es nicht klappen sollte, müsste ich nur einen Umweg von drei Stunden machen. In Saint-Étienne-de-Tinée tanke ich Benzin, versorge mich mit genug Wasser und kaufe ein Sandwich, das ich in den linken Koffer packe. Man weiß nie. Schließlich sehe ich von Weitem Schilder, die mir sagen, dass die Bonette-Straße gesperrt ist. 

    Gesperrt, gesperrt, gesperrt. Eigentlich ist das ja nur ein Adjektiv. Es bedeutet alles und nichts. Zumindest kann ich meine Neugier befriedigen und bis zum letzten Dorf vor der Bonette vordringen: Bousiéyas. Und das war eine gute Idee, denn bis dahin ist die Straße offen. Es ist seltsam, dieses kleine, normalerweise so lebhafte Dorf so ausgestorben zu sehen. Oberhalb von Bousiéyas weisen weitere Schilder deutlich auf die Sperrung hin. Zwei Motorradfahrer fahren trotzdem hinauf. Zum Spaß? Um zum Schnee zu gelangen? Wer weiß. Auch ich nehme die Straße nach oben. Die Kehrtwenden sind alles andere als angenehm ... aber ich bereue nichts, denn vor meinen Augen eröffnet sich ein atemberaubendes Spektakel. In den Südalpen hat es sehr wenig geschneit und die Wiesen beginnen zu blühen. Die Murmeltiere scheinen meine Ankunft zu begrüßen (oder auch auszubuhen). Ich filme zwei von ihnen, die anscheinend in einen MMA-Kampf verwickelt sind, um dann in derselben Höhle zu verschwinden. 

     

    Für alle die den Col del la Bonette kennen: Ich fahre bis zur alten Militärkaserne, die bis 1944 den Zugang zu den französischen Alpentälern schützte. Der Ort beeindruckt noch immer durch seine besondere Atmosphäre. Kurze Pause, um mein Sandwich zu essen. Es kommt mir komisch vor, dass diese Straße offen sein soll. Sie ist wie leer gefegt. Man sieht höchstens ein paar Murmeltiere. Ich fahre noch einen Kilometer weiter und entdecke, was ich schon vor mindestens einer halben Stunde hätte sehen sollen, während ich mein Sandwich aß. Eine riesige Absperrung aus Holz. Sie ist mit einem Vorhängeschloss gesichert und verhindert die Zufahrt vollständig von beiden Seiten. 

     

    Das Schicksal scheint es so zu wollen: noch ein bisschen Enduro mit meiner NT 

    Links der Abgrund: Ein Durchkommen, ohne dabei mit dem Motorrad zu stürzen, scheint mir unmöglich. Rechts ein riesiger Steinhaufen am Berghang. Ich weiß, dass das, was ich nun tun werde, nicht gut ist. In diesem Moment kommt ein Typ vorbei und sagt zu mir: „Willst du passieren?“ „Ja, naja, vielleicht ja, vielleicht nein, nicht wirklich...“ Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, mit all diesen Kehrtwenden und diesen ständigen, aber unwiderstehlichen Versuchungen. Sie müssen mich verstehen: Ich könnte als Erster auf die höchste Straße Europas fahren ... Der Typ sagt mir, dass „heute wirklich nur Bescheuerte hierherkommen würden“. Ich wage nicht, zu widersprechen, auch wenn ich seinen Ansatz etwas zu energisch finde. Doch er fährt fort, nicht um mich für den Blödsinn, den ich vorhabe, zu rügen, sondern um mir zu erklären, dass es dumm wäre, jetzt hier festzustecken, da die Straße morgen wieder geöffnet werden würde. Der Politiker Christian Estrosi soll für eine PR-Aktion kommen, um zu zeigen, wie schön unsere Region ist. Es soll also für ihn geöffnet werden! 

    Bitte was?! Christian Estrosi? Der Bürgermeister von Nizza? Der ehemalige Grand-Prix-Pilot, der sich beim Bol d'Or, beim Moto Journal 200, beim Grand Prix und auch auf seiner Pernod einen Namen gemacht hat? Also habe ich mir gesagt: „Estrosi hat es bereits auf die Siegertreppe geschafft. Jetzt bin ich an der Reihe.“ Wo kämen wir da auch hin, wenn ich mir von einem Autokorso aus Limousinen mit Lederausstattung den Schneid abkaufen lassen würde! Wenn es eine Dienstlimousine hier hinauf schafft, schafft das auch ein Motorrad. Ich nehme die beiden Koffer von meiner NT1100, um weniger Platz zu brauchen. Ich entferne die größten Steine und schaffe es, eine Art Rampe zu bauen, die recht einfach zu befahren ist. Auf der anderen Seite müsste man sich in einen Abgrund voller Schnee stürzen. Ich schalte die Traktionskontrolle aus und wage mich in diese Höhle. Das Hinterrad rutscht ein wenig, doch die NT1100 macht einen guten Job und schafft es, das Hindernis zu überwinden. 

    Ich packe meine Koffer erneut auf das Motorrad und beginne, diese verlassene, einzigartige Straße zu erobern. Es gibt Schnee, es gibt Eis. Ich fahre im Slalom zwischen den Steinen. Ich nutze diesen einzigartigen Moment, um in aller Ruhe bergauf zu fahren. Ich spüre die Einsamkeit, die unermessliche Weite. Als ich oben ankomme, ist die Schleife um La Bonette noch mit Schnee bedeckt. Jedoch ist die kleine Passstraße über den Col de Restefond, die auf die andere Seite führt, passierbar. Ich genieße noch ein paar Glücksmomente, doch dann … eine riesige Schneewand. Ein imposanter Schneehaufen unterbricht meine Fahrt und verhindert den Zugang (in meinem Fall die Abfahrt) vom Pass nach Jausiers und Barcelonnette. 

    Eine Kehrtwende? Nein, nein und nochmals nein. Diesmal weigere ich mich strikt. Der Schneehaufen ist mächtig, massiv. Ich nehme eine Schaufel aus dem Topcase und greife dieses riesige Baiser an. Ich bin nicht den ganzen Weg bis hierher gefahren, um nun eine Kehrtwende zu machen. Und außerdem: Wo ich schon der Erste bin, der hier durchfährt, kann ich genauso gut den letzten Durchgang graben. Eine Stunde später ist es geschafft. Um nicht völlig als Idiot dazustehen (auch wenn es dazu vielleicht schon zu spät ist), habe ich den Hinterreifen mit kleinen Best-Grip-Stollen für Mountainbike-Reifen bestückt: Diese Stollen dringen nur 6 mm in den Reifen ein und sind daher für Straßenreifen geeignet (für Enduro-Reifen kann man größere Stollen verwenden, die sehr viel tiefer eindringen). Motor an, erster Gang und ..... los. Das Motorrad rutscht ein bisschen, aber es fährt. Ah, nein! Die Koffer sind noch da, auf jeder Seite. Ich vergrößere den Durchgang noch ein wenig und befreie die NT1100. 

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    Und dann? Was denkt ihr, habe ich gemacht? Ich wollte die Annapurna nicht verlassen und meinen Müll zurücklassen, nachdem ich die Flagge gehisst hatte! Ich habe also erneut die Schaufel in die Hand genommen, um den schönen Durchgang, den ich in den Schneehaufen gegraben hatte, wieder zu verschließen. So kann niemand mehr in das Loch meiner Dummheit fallen. La Bonette, es ist vollbracht. Wie bereits gesagt: Mit meiner Contour de France wollte ich der Grenze nahekommen. Meine Fahrt weiter nach Barcelonnette verläuft ruhig. La Madeleine, Glandon, Col d’Izoard ... nein, ich will sie nicht mit Spitzhacke und Schaufel herausfordern. Aber dieser kleine „Sieg“ hat mir gut getan. Zwei Tage später ist die Bonette immer noch gesperrt und Estrosi ist nicht aufgetaucht. Wie man sieht ist es manchmal gar nicht so dumm, bescheuert zu sein! 

     

    Autobahnmonotonie entlang der deutschen Grenze 

    Nachdem ich die Schönheit und den Nervenkitzel der Alpen hinter mir gelassen habe, falle ich in ein schwarzes Loch! Das ist nicht schwer zu verstehen. Ein Schwarzes Loch … dieser Himmelskörper, der so kompakt ist, dass die Stärke seines Gravitationsfelds verhindert, dass irgendeine Form von Materie oder Strahlung aus ihm entweicht. Tatsächlich kann ein Schwarzes Loch Licht weder ausstrahlen noch zerstreuen – daher ist es ... schwarz! Ein schwarzes Loch.  

    Genau das ist mir passiert, als ich die Alpen hinter mir gelassen habe. Ich hatte erobert, was es auf meiner Contour de France zu erobern gab. Der Col de Vars (mit seiner gemütlichen Schutzhütte Refuge Napoléon), Lauteret, Fresnes, Leschaux und dann Les Gets. Ich habe den See von Annecy umrundet, um dann den Doubs zu erkunden. Wahrscheinlich denken Sie jetzt: Das war sicherlich in Mouthe, der kältesten Gemeinde Frankreichs; dort ist ihm die Sache mit dem schwarzen Loch passiert. Nein! Das Wetter war außergewöhnlich schön, sogar heiß. Mit der Honda NT1100 habe ich Morteau durchquert, um dem sich schlängelnden Doubs mit seinen farbenfrohen Flussfähren zu folgen, die einen zum berühmten Wasserfall Saut du Doubs bringen. 

    Die NT trug mich auf die Rue des Combes, durch eine Landschaft mit imposantem Canyon, die der Kanadas ähnelt. Der Saut du Doubs ist wirklich bemerkenswert. Dieser 27 Meter hohe Wasserfall entstand vor 12.000 Jahren durch den Zusammensturz zweier Täler. So würde es ein Geologe beschreiben. Für poetisch veranlagte Menschen ist es ein Ort, um den eigenen Gedanken nachzugehen – während einer Kajakfahrt, wenn der Wasserstand es gerade erlaubt. Mit der NT sind wir nicht zu nahe herangefahren, man weiß ja nie ... Bald darauf fuhren wir auf kurvenreichen und bergauf führenden Straßen nach Charquemont, Maîche, Saint-Hippolyte und Audincourt. Herzlichen Glückwunsch, Jungs und Mädels: Eure Region ist einfach wunderbar! Also habe ich mir gesagt: Super, jetzt erwarten uns die Vogesen. Doch es wäre besser gewesen, wenn ich in der Schule im Erdkundeunterricht besser aufgepasst hätte. Ja, denn das Vogesen-Massiv hört kurz vor der deutschen Grenze auf und steht mir somit im Weg. Ich hatte also keine andere Wahl: Ich musste in ein schwarzes Loch fallen. 

    Am Rhein ging es endlos lang immer nur geradeaus. Zum Glück ist gerade Wahlkampf, sonst hätten sie mir wahrscheinlich schon den Führerschein entzogen. Parkplätze voller Neuwagen, die zur Auslieferung bereitstehen (aber gab es nicht einen Mangel an Halbleitern?), geparkt unter Überdachungen aus Photovoltaikmodulen! Laderampen, stinkende Fabriken. Nun, dem Rhein kann man nichts vorwerfen; er leistet hervorragende Arbeit, versorgt 30 Millionen Menschen mit Wasser und transportiert mehr als 180 Millionen Tonnen Fracht. Aber ich und die NT1100... wir hatten wirklich die Schnauze voll. Entschuldigen Sie bitte die Direktheit, aber ich wüsste nicht, wie ich die Situation anders beschreiben sollte. Es ist bestimmt nicht alles an dieser Region schlecht, aber meine Route war wirklich ein kompletter Reinfall. In dieser Gegend Frankreichs ist es unmöglich, der Grenzlinie zu folgen! Dank meiner Idee mit der Contour de France habe ich einige schöne und einige entschieden weniger schöne Entdeckungen gemacht. Das Problem ist, dass Schwarze Löcher groß, nein riesig sind. Wir wissen glaube ich nicht einmal, wie tief sie sind. Und da es keine Ausnahmen gibt, waren die NT und ich darin gefangen. Ich musste entlang der nördlichen Grenze weiterfahren. 

    Festung aus dem 17. Jahrhundert in Maubeuge
    Festung aus dem 17. Jahrhundert in Maubeuge

    Die geraden Strecken gehen weiter: zwischen Maginot-Linie und belgischer Grenze 

    Auch hier gilt: todlangweilig. Als ich die Ardennen erreichte, dachte ich einen Moment lang, dem schwarzen Loch entkommen zu sein. Die Straßen zwischen den Nadelbäumen sind zwar immer noch schnurgerade, aber die Landschaft ist schon etwas abwechslungsreicher. Ich sah Schilder die nach Gedinne, Chimay wiesen! Cool, ich könnte was trinken gehen. Nein. Für mich sind Chimay und Gedinne nur legendäre Namen im Zusammenhang mit den belgischen Straßenradmeisterschaften. Am Ende bin ich nicht hingefahren. Mein GPS wollte unbedingt im Schwarzen Loch bleiben, also ging es weiter entlang der Grenze. Doch dann habe ich mich gewehrt. Ich habe „nein, nein, nein, nein, nein“ gesagt und bin nach Maubeuge gefahren. Meine Hoffnung war es, auf diesem Roadtrip ein wenig Aufregung zu finden, einen kleinen Lichtblick. Aber anscheinend war es einfach nicht mein Tag. Es war Ostermontag, und das berühmte Maubeuge war verlassen wie an einem Tag während des Lockdowns. Ich fuhr also zurück zur Maginot-Linie mit ihren Befestigungen in den Feldern, ihrem Ziegel-Universum. Die Mauern sind aus Ziegeln, die Häuser sind aus Ziegeln, die Kapellen sind aus Ziegeln. Nur das Geld scheint nicht aus Ziegeln zu bestehen (und das meine ich liebevoll).  

    Im Norden sind die Leute großartig. Auf dem Land roch es (diesmal) gut, nach Ostermontag. Überall Flohmärkte, Picknicks, die Leute wissen, wie man Spaß hat. Wahrscheinlich bin ich hier der Dumme, weil ich all diese Kilometer zurücklege. Und so befreite ich mich, ohne es zu merken und so schnell wie ich hineingelangt war, wieder aus dem Schwarzen Loch!  Bray-Dunes. Im Norden, direkt an der Grenze zu Belgien. Die nördlichste Stadt Frankreichs. Weit weniger bekannt als das Nordkap (eine andere Nordspitze, aber in Europa), ist Bray-Dunes wegen seines malerischen Charmes immer noch einen Umweg wert. Die Hauptstraße mit ihren Läden, die Pommes, Eis, Bälle, Schläger und Badeanzüge verkaufen. Es ist wie am Strand, aber mit Pullover und Mütze. Ruhig, ruhig, ich mache nur Spaß (obwohl ...). Aber naja, auf geht‘s. Brechen wir zur letzten Etappe meiner Contour de France auf: Normandie, Bretagne. 

     

    Bretagne: für manche die schönste Region Frankreichs 

    Die Bretonen bringen mich zum Lachen. Sie sind stolz auf ihre Diversität, ihre Authentizität, aber gleichzeitig brauchen sie ständig Anerkennung, um sich geliebt zu fühlen. Das sieht man. Sie müssen uns mit allen Mitteln davon überzeugen, dass ihre Region die schönste ist. Nicht, dass daran etwas auszusetzen wäre, aber in der Bretagne ist alles nur Schein, eine schöne Fassade. Und das denke ich schon lange! Bevor jetzt die Bretonen mit ihren roten Mützen kommen, um mein Haus zu verwüsten, möchte ich erklären, warum. Meine Vorstellung von der Bretagne geht auf eine alte Erinnerung zurück. Sehr, sehr alt. Es war im Jahr 1998. Die neue Aprilia RSV Mille (mit Rotax-Zweizylindermotor, den es lange vor dem V4 gab) war gerade herausgekommen. Ich wurde gebeten, die Ducati 996 und die Suzuki TL 1000 R miteinander zu vergleichen. Damals war ich jung, schön und unschuldig, und verstand nicht wirklich, warum die Testfahrer für ihre Tests nie in die Bretagne fuhren. Was für eine tolle Idee, mitten im Dezember. Vereiste Straßen und schlechtes Wetter, was uns schließlich zur Umkehr zwang. Ich erinnere mich gut an das Titelbild der Zeitung: Zu sehen waren drei Vollidioten mit gefrorenen Nasen und Anzügen, die kaum vor der Kälte zu schützen vermochten. Ich habe nicht die geringste Absicht, diesen Vergleich noch einmal zu lesen. Genauso wenig mein „fachmännisches“ Urteil zu den dynamischen Eigenschaften dieser Motorräder. Manchmal können Journalisten echte Wunder vollbringen! 

     

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    Also habe ich mir gesagt: Ich, in die Bretagne – NIE WIEDER. Und in der Tat habe ich diese Region nie wieder betreten, geschweige denn befahren. Obwohl es ein gewisses Risiko bedeutet, habe ich es vorgezogen, mehrmals zum Nordkap vorzustoßen, bei -30 Grad mit Stollenreifen. Wenigstens weiß ich, was mich dort erwartet! Doch diesmal wurde ich von meiner Contour de France gezwungen, es gab kein Entrinnen. In die Bretagne zu fahren, meine ich. Gleichzeitig missfiel mir das drohende Desaster letztlich nicht so sehr. Lassen Sie mich erklären: keine Fotos, keine Videos. Wozu? Um Ihnen den strömenden Regen zu zeigen? Das lasse ich glaube ich besser sein. Aber so konnte ich nach meinem 19-tägigen Roadtrip und 8.000 auf Landstraßen zurückgelegten Kilometern nach Hause zurückkehren. Und so verließ ich Mont Saint Michel in der Normandie und fuhr in die (Trommelwirbel) Bretagne. Ich fühlte mich sicher, gelassen, Zen pur. Alles würde super laufen, mit Regenfällen, die der Stadt Phnom Penh mitten in der Monsunzeit Konkurrenz machen würden. Ich war also zugegebenermaßen überrascht, als mich ein strahlend blauer Himmel begrüßte. 20 Grad und Sonnenschein. Ich schaute auf das GPS, um sicherzugehen, dass ich nicht die falsche Richtung genommen hatte. Zusammen mit Morgan und Guillaume, die sich mir angeschlossen hatten, fuhren wir einige hübsche kleine Straßen entlang. Auch das hat mich überrascht. Wir durchquerten das anmutige Städtchen Cancale in Richtung Pointe du Grouin, um dann zur Île du Guesclin weiterzufahren. Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Türkisfarbenes Wasser, majestätische Felsen, das Fort… hier könnte leicht das nächste Koh Lanta werden (ich hoffe doch nicht!). Ich trat gegen den Felsen, um zu prüfen, ob er echt war. Ja, war er! 

     

    Ende gut, alles gut 

    Meine bretonischen Freundinnen und Freunde, wisst ihr eigentlich, dass ihr an einem wunderschönen, geradezu magischen Ort lebt? Unsere Fahrt ging auf einer bezaubernden, kurvenreichen Straße weiter, die sanft die Küste entlanglief. Guillaume und ich verirrten uns in die schmalsten Straßen, um so nah wie möglich an der Küste zu bleiben. Wir haben auch kleine Bäche überquert, die dieses Abenteuer noch besonderer machten. Am Cap d'Erquy hat mich die pure Schönheit wirklich überwältigt. Meine lieben Bretonen, seid nicht so schüchtern. Ihr müsst sagen, dass eure Heimat wirklich wunderschön ist. Dass es sich nicht um eine Schein-Schönheit handelt und dass es, anders als ich dachte, nicht immerzu regnet. Andererseits habt ihr mir wirklich das Leben schwer gemacht. Was die Contour de France betrifft, so ist die Bretagne die französische Region mit den meisten Kilometern entlang der Küste: ganze 2.730 Kilometer, mit vom Wind gepeitschten Dünen und Klippen, die den Ozean überragen, Flussmündungen, die als Zufluchtsort für Fische, Weichtiere oder Vögel dienen, Salzwiesen, Kieselbänke. 

    Und wenn man die Umrisse der kleinen Inseln mitzählt, sind es nochmal 1.000 mehr. Aber ich war mit dem Motorrad unterwegs und meiner Meinung nach darf man dieser Küste nicht trauen. Ich brauchte wahnsinnig viel Zeit für die gesamte Strecke. Ich muss gestehen, manchmal habe ich Abkürzungen genommen. Zum Beispiel hatten wir keine Zeit, Saint-Malo und Brest zu besuchen (nächstes Mal dann, versprochen). Aber ich versichere Ihnen, ich habe mein Bestes gegeben. Ich habe mir größte Mühe gegeben, den Umriss von Finistère genauestens und bis in die kleinsten Spitzen abzufahren. Sie glauben mir nicht? Ich war in Camaret, Crozon, Audierne, Penmarch. Auch in Logonna-Daoulas. Bei der prächtigen Domaine de Moulin Mer: eine Gezeitenmühle, die unsere Unterstützung (oder auch einfach nur unsere Bewunderung) braucht, um in eine Künstlerresidenz verwandelt zu werden, die für Reisende und Kulturveranstaltungen offen steht. An der Südküste hat die Bretagne sanftere Hänge. Wahrscheinlich, weil sie ihre Blüte mehr im Sommer zeigt. Sie ist weniger gepeinigt, geschunden und wird wahrscheinlich auch häufiger besucht. 

     

    Ich bin nach Larmor-Plage gefahren, das ganz am Ende der Halbinsel Quiberon liegt. Ja, auch dorthin. In der Nacht bin ich dann, weil diese Reise nun auch mal ein Ende haben muss, nach Guérande, Quiberon und La Rochelle gefahren. Aber dann geschah etwas Seltsames. Ich gebe zu, dass ich nach einem derartigen Roadtrip buchstäblich kaputt war, komplett. Daher kann ich nicht mehr den genauen Moment ausmachen, an dem die Sache begann. Diese nichtssagende Kreuzung mit dem Ortsschild von Les Boucholeurs und dem Stoppschild, an der alles seinen Anfang nahm. Verrückt! Dieser lächerliche Ort war für mich zu einem Mythos geworden, heilig. Aber da ich so kaputt war, habe ich das nicht besonders realisiert. Ich habe den Kilometerzähler der Honda NT1100 kontrolliert. 9.417 Kilometer, minus 1.110, die ich bei meiner Abfahrt bereits darauf hatte: Das sind genau 8.307 Kilometer in 19 Tagen. Kurz vor meiner Abfahrt habe ich folgende Zahlen vorausgesagt: 

     

    - 8.139 Kilometer 

    - 193.302 GPS-Punkte 

    - Mindesthöhe: 7 Meter 

    - Maximalhöhe: 2.706 Meter 

    - Positiver Gesamtaufstieg während der Reise: 144.314 Meter 

     

    Ganz falsch lag ich also nicht. Da gab es keine Überraschungen. Und ich? Ich wusste, dass es schwierig werden würde. Dass diese 19 Tage kaum ausreichen würden. Dass mein Zeitplan nicht perfekt war. Dass viele Pässe noch geschlossen sein würden. Doch ich habe mich von dieser Route leiten lassen. Angezeigt auf dem Bildschirm eines völlig unpersönlichen Computers. Ich habe sonderbare Orte entdeckt (Bray-Dunes an der Grenze zu Belgien, von dem ich nicht einmal wusste, dass es existiert), kleine Dörfer, einsame Straßen. Wann geht die nächste Reise los? Nächste Woche – und ja, das meine ich todernst. 

    Erforderliche Ausrüstung

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