Ich heiße Alex Di Muzio, bin 30 Jahre alt und sitze im Sattel, seit ich 4 Jahre alt bin. Das habe ich der Leidenschaft meines Vaters zu verdanken. Nachdem ich jahrelang mit dem Geländewagen durch den Iran, die Türkei, Nordafrika und den Balkan gereist bin, bin ich auf das Motorrad umgestiegen. Meine Lieblingstour? Die habe ich noch vor mir.
Die Organisation ist ein Teil der Reise. Sie ermöglicht es uns, im Geiste zu reisen, uns auf Landkarten über Orte zu informieren, die wir besuchen werden, und über Straßen, die wir befahren werden. Aber die detailgenaue Planung war noch nie eine meiner Stärken, erst recht nicht viele Monate im Voraus.
Dank der freien Zeiteinteilung bei meiner Arbeit kann ich, wie in diesem Fall, eine Reise ans andere Ende der Welt in etwa einem Monat organisieren.
Und so plante ich Anfang Februar 2022, als weltweit noch immer strenge Covid19-Beschränkungen galten, nach einer unglaublichen Erfahrung in Kolumbien vor der Pandemie mit dem Motorrad nach Südamerika zurückzukehren. Patagonien, die weltberühmte Carretera Austral, Traumziele für alle Reisenden, vielleicht für uns Motorradfahrer noch ein wenig mehr…
Dieser Hauch von Mystik und die Vorstellung, so weit weg von zu Hause in einem derartigen Ödland unterwegs zu sein, üben auf mich eine besondere Faszination aus, wie der Gesang der Sirenen, die Odysseus zu den Felsen locken wollen.
Die Einreisebeschränkungen nach Chile sind überwindbar, es werden aber ziemlich viele Unterlagen angefordert. Die Zeiten, in denen wir nur mit einem Reisepass in der Tasche durch die Welt gereist sind, erscheinen in weiter Ferne.
Das war die erste Frage, die ich mir stellte, als ich eine Reise nach Chile plante.
Die Kosten sind in beiden Fällen hoch, aber die Frage, die den Ausschlag geben könnte, muss lauten: Wie viel Zeit habe ich für diese Reise? Wenn es sich um Monate handelt, ist es viel billiger, das Motorrad von Italien aus mit dem Schiff zu transportieren, aber wenn man, wie ich, nur 15 Tage Zeit hat, ist ein Leihfahrzeug bei weitem die beste Wahl.
Wenn man ein Motorrad leiht, hat man keine Probleme mit der Zollabfertigung, dem Papierkram und den verschiedenen Transporten. Man hat ein sofort einsatzbereites Motorrad, ganz zu schweigen von der Zeit, in der das Motorrad unterwegs ist, wenn man sich entschließt, es zu verschiffen, und man es nicht benutzen kann.
Es ist wichtig, einen guten Verleih zu finden, dessen Fahrzeuge in einem guten Zustand sind. Man muss sicherstellen, dass die Dokumente in Ordnung sind, dann erlaubt es der entsprechende Leihvertrag, das Erlebnis sicher zu genießen.
In Chile dauert der Sommer von Dezember bis Anfang März. Man muss bedenken, dass sich dieses Land über 4.000 km Länge erstreckt, so dass man im Sommer Temperaturen zwischen 30/35 Grad in Santiago de Chile im Zentrum bis 10/15 Grad in Villa O'Higgins, dem südlichsten Punkt der Carretera Austral, vorfindet.
Ein weiteres beliebtes Ziel, die Atacama-Wüste im Norden, ist auch in der Zeit von Juni bis August zu empfehlen.
Es gibt also keinen wirklich ungünstigen Zeitraum für Reisen nach Chile. Aufgrund der geografischen Gegebenheiten des Landes sind alle Jahreszeiten ideal für eine Reise. Wer dem kalten und regnerischen Wetter, das in den verschiedenen Regionen des Landes mehr oder weniger verbreitet ist, aus dem Weg gehen will, sollte auf jeden Fall die Wintersaison meiden (die allerdings meist auch die finanziell günstigste Zeit für einen Urlaub ist). Wer Touristenmassen und hohe Preise vermeiden will, tut gut daran, nicht während des Sommers – der Hochsaison – auf der Südhalbkugel zu reisen.
Nach insgesamt 16 Stunden Reisezeit und einem Zwischenstopp in London Heathrow bin ich nun in Santiago de Chile, auf meiner zweiten Motorradtour durch Südamerika.
Ich beschließe, anderthalb Tage in Santiago zu bleiben, den ersten halben Tag, um meine von meinem Freund Davide Biga geliehene Yamaha Super Ténéré auszurüsten und mich vom Jetlag zu erholen (Der Zeitunterschied zwischen Chile und Italien beträgt 6 Stunden).
Am nächsten Tag fahre ich, um mich mit meinem neuen Reisegefährten vertraut zu machen, in Richtung argentinische Grenze, um den Paso Los Libertadores, eine Serpentinenstraße mit 18 Haarnadelkurven, die ein Künstler auf 3.200 Metern Höhe in den Anden angelegt hat, in Angriff zu nehmen.
Wie immer passieren die besten Dinge zufällig, ohne Planung, und so beschließe ich, bis zur argentinischen Grenze zu fahren, als ich auf ein Schild stoße, das eine Schotterstraße zum Cristo Redentor de los Andes anzeigt.
Eine der besten Entscheidungen dieser Reise. Ich fahre etwa 40 Minuten lang die Schotterstraße hinauf, ohne einer Menschenseele zu begegnen, mitten in den Anden, bis ich auf 3.800 Metern beim berühmten Cristo Redentor ankomme.
Ein einzigartiges Gefühl, und wenn man bedenkt, dass dies erst mein erster Tag in Chile ist, wer weiß, was mich auf der Reise noch alles erwartet.
Zurück in Santiago finde ich mich inmitten der Feierlichkeiten zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Boric wieder, einem sehr wichtigen Tag für das chilenische Volk. Der neue Präsident ist erst 36 Jahre alt und bringt hoffentlich frischen Wind in dieses Land.
Es ist an der Zeit, in den Süden aufzubrechen, zu der eigentlichen Reise, von der ich schon so lange geträumt habe. Zunächst muss ich die etwa 900 km lange, eintönige Autobahnstrecke zurücklegen, die mich von Villarica trennt.
Leider habe ich nur 15 Tage auf dem Motorrad, so dass ich mich entscheiden muss, was ich sehen will und was ich leider auslassen muss.
Wie gesagt, ich bin kein Freund der Planung, ich lebe gerne in den Tag hinein, ich habe ein grobes Programm, aber ich habe nichts gebucht, außer einer Fähre, die für die Bewältigung der Carretera unerlässlich ist. Ich mag es, mich von der Situation mitreißen zu lassen, lerne gerne Menschen kennen und bin offen für neue Erfahrungen, ohne unbedingt zu sagen: „Ich muss heute noch dorthin, ich habe das Hotel hier gebucht.“
Von Villarica bis Puerto Varas, eine ausgedehnte Seenplatte und Vulkane, die man nicht verpassen sollte. Die Fahrt auf der Straße entlang des Lago Llanquihue mit dem Vulkan Osorno davor ist wirklich aufregend und erinnert mich an die spektakulären Fotos des Fuji in Japan, der eine sehr ähnliche Form hat.
Das Wetter in diesen ersten Tagen meiner Reise war immer freundlich, Sonnenschein, klarer Himmel, optimale Temperatur für eine Motorradtour. Ich genieße die 5-stündige Überfahrt von Hornòpiren nach Caleta Gonzalo, um die man nicht herum kommt, wenn man in den Süden möchte. Das war das einzige, was ich lange im Voraus buchen musste. Diese Etappe erinnert mich sehr an Norwegen, ein regelrechter Fjord, umgeben von Natur mit Bergen, die an das Meer grenzen, das sich zwischen ihnen hindurchschlängelt. Ich beginne, die Luft Patagoniens zu atmen.
Man merkt, dass man sich an einem magischen Ort befindet, wenn man morgens aufwacht, den Strand vor seiner Hütte entlanggeht und vier Delfine in Ufernähe schwimmen sieht.
Ich schaue auf die Landkarte und sehe, „wie weit südlich ich in Südamerika bin“, nicht weit von Ushuaia und Kap Hoorn. Kaum setze ich meinen Helm auf, um mich auf den Weg nach Coyhaique zu machen, muss ich am eigenen Leib erfahren, wie unberechenbar das Wetter hier ist. 550 km lege ich bei strömendem Regen zurück und passiere dabei den berühmten Paso Queulat, von dem man mir sagte, er sei ein unglaublicher Ort. Aber ich erinnere mich nur an den Nebel mit einer Sichtweite von nur 3 Metern, das Wasser, das mir den Rücken hinunterlief, und die Angst, dass mir das Benzin ausgehen könnte. Trotzdem ein schönes Erlebnis.
Ab Coyhaique spürt man, dass sich etwas verändert, als ob die Luft und die Atmosphäre hier anders wären. Diese Stadt mit 57.000 Einwohnern ist die größte in dieser Region Chiles, in die ich am Ende meiner Reise zurückkehren werde, um mit dem Flugzeug in etwa 2 Stunden und 15 Minuten nach Santiago zurückzukehren.
Die Carretera Austral beginnt offiziell in Puerto Montt und endet 1.240 km später in Villa O'Higgins.
Die Bauarbeiten an dieser Straße, die von Diktator Augusto Pinochet angeordnet worden waren, dauerten von 1976 bis 1996.
Sie wurde für militärische Zwecke konzipiert, durchquert Regionen, die sonst nur auf dem Seeweg erreichbar sind, und ist auf einer Länge von etwa 700 Kilometern völlig unbefestigt. Kurz hinter Villa Cerro Castillo finde ich das berühmte Schild „Fin Pavimento“, und es beginnt die eigentliche Ruta por el Sur, von der ich schon lange geträumt habe.
Kilometer um Kilometer mitten im Nirgendwo, allein, auf unbefestigten Straßen, nur ich und mein Motorrad. Die Straße verläuft geradeaus, so weit das Auge reicht, zwischen Wäldern, Seen und Flüssen, als plötzlich die Farben des Lago General Carrera in den Mittelpunkt rücken.
Dieser See liegt zur Hälfte in Argentinien und zur Hälfte in Chile und heißt auf der einen Seite Lago Buenos Aires und auf der anderen Seite General Carrera.
Die Einheimischen nennen ihn Lago Chelenko, erklärt Emanuel, mein Reiseleiter auf der Bootstour zur Catedral de Marmol, einer der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Patagoniens.
Die Marmorformationen in der Mitte des Sees haben im Laufe der Jahrhunderte durch Erosion die Form von Statuen angenommen und ein wahres Freilichtmuseum geschaffen.
Diese Tour kostet etwa 30 € für 2 ½ Stunden und beginnt in Puerto Río Tranquilo, einem kleinen Dorf an der Westküste des Sees.
Die Etappe von Puerto Río Tranquilo nach Cochrane ist eine der faszinierendsten der gesamten Reise: der Lago Bertrand mit seinen magischen Farben, der Río Baker, auf dem ich das erste Rafting-Erlebnis meines Lebens habe, die Confluencia zwischen Río Nef und Río Baker, die einem die Sprache verschlägt, und die letzten 20 km nach Cochrane, wo ich in meinem Helm immer wieder über die Ekstase des Augenblicks lachen muss.
Das Ziel meiner Reise ist Villa O'Higgins, am Ende der Carretera Austral. Um dorthin zu gelangen, muss ich eine weitere Fähre nehmen, die mich von Caleta Yungay nach Río Bravo bringt. Als ich drei Stunden vor Abfahrt an der Anlegestelle ankomme, ist keine Menschenseele zu sehen, nur ein trostloser Vorplatz, also öffne ich in aller Ruhe den „Vorratsschrank“ meiner Super Ténéré. Als Snack gibt es heute: Äpfel, Nüsse, Chips und Kekse, ein wahres 3-Sterne-Menü – damit kann man zufrieden sein.
Auf der Carretera kann man über Hunderte von Kilometern nichts und niemanden antreffen, daher ist es wichtig, immer Benzin, Wasser und etwas zu essen dabei zu haben.
Wir gehen in Río Bravo von Bord, ein paar Reisende mit Autos, Fahrrädern, ein paar Anhalter, drei Motorräder… Ich bin der einzige Europäer, in Begleitung einiger Einheimischer, die diesen letzten Außenposten der Zivilisation in diesem Teil Patagoniens mit Vorräten versorgen.
Die letzten 100 km sind mystisch, das totale Nichts, die Natur in ihrer reinsten Form, und man wird sich bewusst, wie klein der eigene Platz in der Welt ist. Nach 3.500 km von Santiago de Chile komme ich auf meiner Solotour am Fin de la Carretera Austral an, ich bin glücklich!
Mehr als 600 km erwarten mich auf der gleichen Straße wie bei der Hinfahrt zurück nach Coyhaique, wo ich das Motorrad abstelle und einen Flug zurück nach Santiago de Chile nehme.
Ich habe es schon immer geliebt, dieselbe Strecke in beide Richtungen zu fahren, weil man dadurch die Landschaften aus einer anderen, neuen Perspektive sieht und Dinge wahrnimmt, die man sonst nicht sehen würde. Die Carretera Austral nochmals zu fahren, ist mir also ein Vergnügen.
Unterwegs mache ich einen kleinen Abstecher nach Caleta Tortel, eines der berühmtesten und touristischsten Dörfer der Gegend, das fast vollständig auf Stelzen um den Fjord herum gebaut wurde.
Denjenigen, die zum ersten Mal eine Reise nach Südamerika – und in diesem Fall nach Chile – unternehmen, möchte ich gerne einige Ratschläge geben.
Vor der Abreise eine Auslandsreiseversicherung abschließen
Das Ablaufdatum des Reisepasses kontrollieren, er muss noch mindestens 6 Monate gültig sein.
Eine chilenische SIM-Karte für das Smartphone an einem der zahlreichen Stände kaufen, die man auf den Straßen Santiagos findet, am besten ENTEL.
Man kann an den Tankstellen immer mit Kreditkarte bezahlen, selbst in den abgelegensten Dörfern.
Für die Carretera Austral ist eine Reichweite von mindestens 250 km empfehlenswert. Mit einem klassischen Adventure-Bike wird man keine Probleme mit dem Tanken haben, solange man immer die Gelegenheit nutzt.
Wenn man in der Hochsaison alleine reist, wird man keine Probleme haben, immer eine Cabana für die Nacht zu finden, aber für Gruppen wird empfohlen, im Voraus zu buchen. Die Cabanas sind das Äquivalent zu den Hyttas in Norwegen, kleine Hütten, die manchmal auch eine Küche und einen Holzofen zum Heizen haben. Ich habe für eine Hütte mit 2/4 Schlafplätzen zwischen 30 und 80 € bezahlt, je nach Lage.
Die Sprache… Italiener sind im Vorteil, da sie Spanisch verstehen und nach ein paar Tagen vielleicht auch anfangen, ein paar Worte zu sprechen. Englisch ist nicht sehr verbreitet.
Motorradverleih: Eine Maxi-Adventure wie die Yamaha Super Ténéré 1200 kostet in Chile etwa 200 € pro Tag.