Ich bin Jahrgang 1992 und arbeite seit 2016 für Dainese, wo ich für die Erstellung von Grafiken und Videoinhalten verantwortlich bin. Dank meines Vaters, der in der Branche arbeitet und immer ein paar große Motorradhersteller als Kunden hatte, bin ich quasi zwischen Motorrädern aufgewachsen. Seit ich 19 Jahre alt bin, fahre ich selbst Motorrad – ich bevorzuge Zweizylinder. In meiner Garage steht eine Suzuki SV 1000. Leider benutze ich sie nicht so oft, wie sie es verdient hätte. Aber wenn ich mich in ihren Sattel schwinge, lohnt es sich bestimmt.
3:54 Uhr am Morgen, oder besser gesagt in der Nacht. Noch 6 Minuten bis der Wecker klingelt, aber meine Augen sind schon offen. Warum um alles in der Welt ist mein Wecker an einem Samstag Ende August auf 4:00 Uhr gestellt? Daran sind meine fanatischen Freunde schuld, die mich als ‚Sensibelchen‘ hinstellen möchten. „Fahren wir in die Berge und sehen wir uns den Sonnenaufgang an! Das wird lustig!“, haben sie gesagt. Es mag schon lustig sein, aber für mich ist das Aufstehen um 4:00 Uhr morgens eine Qual, und das reibe ich ihnen auch unter die Nase. Wie auch immer: Ich habe zugesagt, also habe ich es mir gewissermaßen selbst eingebrockt.
5:30 Uhr an der Bar kurz vor Bassano, war ausgemacht. Jetzt also aufstehen und los geht‘s. Das Frühstück lasse ich aus, um Zeit zu sparen und weil ich so früh noch nichts hinunter kriege. Zähneputzen und Anziehen dauern keine Viertelstunde, dann sitze ich auch schon auf dem Motorrad. Meine SV1000 springt sofort an, der Scheinwerfer ist eine Spur zu hoch eingestellt, aber alles in allem ist die Ausleuchtung perfekt und es stört mich nicht weiter. Von zu Hause aus bin ich im Nu auf der Staatsstraße und auf dem Weg in die Berge. Eine knappe Stunde später komme ich an der Tankstelle am Eingang des Valsugana-Tals an. Gott sei Dank hat jemand die glänzende Idee gehabt, die Bar nebenan schon um 5:00 Uhr zu öffnen, sodass ich mich in Gesellschaft von Carlo, der gleich nach mir eintrifft, mit einem Cappuccino und einem Croissant stärken kann. Die „Rädelsführer“ kommen natürlich zu spät, verflixt nochmal.
Ein paar Minuten später muss ich dann aber doch grinsen, als ich das unverwechselbare heisere Bellen der Aprilia V4 mit ihrem Quick Shifter höre. Das automatische Zwischengas beim Hinunterschalten klingt einfach geil. Es ist Luca mit seiner wunderbaren Tuono, der sich die heutige Tour hat einfallen lassen, dicht gefolgt von Jürgen und Enrico. Die Gruppe hat sich nach Jahren wieder zusammengefunden, zuletzt haben wir uns, glaube ich, 2019 getroffen. Letztendlich konnte ich mir das also nicht entgehen lassen.
Gestärkt machen wir uns auf den Weg in Richtung Norden. Staatsstraße bis nach Civezzano, dann die Abzweigung hinauf nach Balsega di Pinè und wieder hinunter nach Cembra. Hier beginnt der Spaß. Die Val di Cembra ist eine spektakuläre asphaltierte Serpentinenstraße – breit, gleichmäßig und ohne große Steigungen. Breite Kurven, mit einem Sportmotorrad ein wahrer Genuss, unterbrochen von mehr oder weniger langen Geraden – man fühlt sich wie auf einer Rennstrecke. Zu dieser Uhrzeit ist sie außerdem wie leergefegt. Weiter geht es nach Cavalese, wo wir das Tempo drosseln und rechts in Richtung Manghenpass abbiegen. Die Straße auf den Manghenpass ist steil, schmal und kurvenreich und bei Motorsportfans sehr beliebt und bekannt, da sie seit den 1970er Jahren zu den legendären Sonderprüfungen der Rallye San Martino di Castrozza gehört. Wenn man bedenkt, dass hier vor fünfzig Jahren die Autos in der Nacht mit Vollgas auf Schotter unterwegs waren, bekommt man eine Gänsehaut. Die haben wir auch so schon, aber das liegt eher an der Temperatur. Für einen 20. August ist es ausgesprochen kühl, und das Wetter könnte wirklich besser sein. Um ehrlich zu sein, hat es keinen tollen Sonnenaufgang gegeben, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.
Die Straße auf den Manghenpass schlängelt sich zwischen Kiefern empor. Hier sind die Zerstörungen des Sturmtiefs Vaia im Herbst 2018 noch deutlich zu sehen. Man erblickt so manche kahle Berghänge und andere, wo die umgestürzten Bäume noch nicht entfernt wurden. Zwischen Spitzkehren, engen Kurven und Serpentinen geht es hinauf auf 2.047 Meter Seehöhe. Hier mit Sportmotorrädern unterwegs zu sein, ist eigentlich nicht besonders spektakulär. Der Asphalt ist langsam und wellig, auf einer leichten Motard würde es vielleicht mehr Spaß machen, aber so ist es eben. Ich fahre entspannt, genieße den Moment und denke an die italienischen Rallye-Pioniere, die vor so vielen Jahrzehnten an Bord eines Fulvia HF, Alpine, Fiat 124 und Co. diese Berge überquert haben. Der Himmel ist bedeckt und es weht ein starker Wind, wir haben hier weit unter 20 °C, wahrscheinlich eher um die 10 °C. Zum Glück habe ich die richtige Kleidung an. Stoffjacke mit wasserdichter Hülle, die ich schnell ausziehen kann, falls sich die Sonne doch noch blicken lässt; mitteldicke Strumpfhose und Funktionsjeans mit Protektoren. Einzig bei der Wahl der Handschuhe habe ich daneben gelegen: Ursprünglich wollte ich mit dickeren Handschuhen losfahren und ein Paar dünnere Handschuhe mitnehmen, aber bei der Abfahrt um 4:00 Uhr war ich offenbar noch nicht bei klarem Verstand und habe die wärmeren Handschuhe entgegen aller Vorsätze zu Hause gelassen. Was ich daraus gelernt habe: Bei Ausflügen zu so „unchristlichen“ Uhrzeiten keine Entscheidungen revidieren, die man am Vortag mit kühlem Kopf getroffen hat. Mir kommen die Schalldämpfer der SV zugute, die sich auch als Heizung hervorragend eignen.
Eine Einkehr in der Hütte unterhalb des Passes wäre vielleicht keine schlechte Idee; ich weiß aus Erfahrung, dass es hier gutes Essen gibt, aber es ist erst 8:00 Uhr morgens. Ein Teller Knödel wäre um diese Zeit vielleicht nicht das Richtige und außerdem wohl nicht zu bekommen. Der Himmel sieht nach Regen aus. Darauf warten wir lieber nicht und fahren lieber auf der anderen Seite wieder hinunter. Aber nicht bevor wir die obligatorischen Fotos auf dem Hubschrauberlandeplatz gemacht haben – das hat bei uns Tradition. Wir halten uns aber nicht lange auf, denn der Wind ist wirklich stark, das macht die Pause nicht so angenehm. Abfahrt nach Telve: Auf dieser Seite ist die Straße zu Beginn des Gipfels noch schmal und kurvenreich, aber in Richtung Talsohle wird sie sanfter, breiter und angenehmer zu fahren. Zwischen Telve und Strigno überqueren wir die Strada Statale 47 della Valsugana, dieselbe Straße, die wir vor einigen Stunden in umgekehrter Richtung befahren haben, dann geht es wieder hinauf nach Castello Tesino und zum Passo Brocòn. Hier ist die Fahrbahn deutlich breiter und die Fahrt hinauf auf 1.616 Meter angenehmer. Die Serpentinen und alle Kurven sind breiter, das Fahren mit einem Sportmotorrad gestaltet sich hier ganz anders als auf dem Manghen. Aber Vorsicht, das gilt nur für die Fahrt hinauf auf dieser Seite, denn bei der Abfahrt in Richtung Canal San Bovo wird die Straße wieder schmaler und man muss sich schon etwas anstrengen, um ein zügiges Tempo zu halten. Halb so wild, so werden die Hände wenigstens warm.
Die letzte Bergfahrt des Tages führt auf den Monte Grappa. Wir erklimmen ihn auf der weniger befahrenen Nordseite entlang der SP148, nachdem wir auf der SR50 nach Lamon gefahren sind. Vom Gipfel aus hat man einen spektakulären Blick auf das Flachland. Der starke Wind hat die Luft gereinigt, sie ist nun sauber und klar. Man sieht Venedig mit seiner Lagune und der Adria, als ob sie nur einen Steinwurf entfernt wären, dann von links nach rechts von Friaul bis zur Lombardei, dazwischen Montello und die Asolani-Hügel in der Provinz Treviso, die Euganeischen Hügel in der Provinz Padua und die Berici-Hügel in der Provinz Vicenza. Der Monte Grappa ist übrigens ein geschichtsträchtiger Berg, ein Schauplatz der traurigen Ereignisse des Ersten Weltkriegs. Aber das monumentale Kriegerdenkmal für die gefallenen italienischen und österreichischen Soldaten auf seinem Gipfel ist einen Besuch wert. Das gesamte Gebirgsmassiv ist sehenswert, es birgt unzählige geheime Ecken und versteckte Winkel, die man manchmal über unbefestigte Straßen erreicht, die uns heute mit unseren Motorrädern verwehrt bleiben. Hie und da kommt man durch kleine Dörfer wie S. Giovanni und Il Lepre, das um das gleichnamige Gasthaus herum gebaut wurde, bei deren Anblick man sich fragt, wie solche Orte noch existieren können. Sie sehen noch genauso aus wie im 19. Jahrhundert, wären da nicht ein paar Autos, die hie und da auf den Höfen geparkt sind. In S. Giovanni ist das ‚Kleine Museum des Ersten Weltkriegs‘ interessant. Ein Raum voller Relikte und Funde aus Schützengräben, Wäldern und Wiesen, die im Laufe eines Jahrhunderts zusammengetragen wurden. Es befindet sich im Hotel Restaurant S. Giovanni, wo man übrigens hervorragend isst.
Auch hier am Monte Grappa würde sich eine anständige Essenspause lohnen, aber es ist gerade mal 11:00 Uhr, und die anderthalb Stunden, die wir für den Heimweg benötigen, sprechen dafür, die Rückfahrt anzutreten und den wahren Vorteil des frühen Aufstehens auszunutzen: Fast 500 km Fahrt, aber ich werde schon zum Mittagessen wieder zu Hause sein und den Rest des Tages zur freien Verfügung haben. Ich verabschiede mich von den Jungs; es war eine Freude, nach langer Zeit wieder gemeinsam unterwegs gewesen zu sein. Auch wenn der Sonnenaufgang nicht so spektakulär war, wie wir es uns erhofft hatten, unabhängig vom Wetter und von den Straßen, ist die richtige Begleitung letztendlich das Wichtigste. Diejenige, die man auch unterwegs ohne Worte versteht, auch mit dunklem Visier, und die einen bei jeder Pause zum Lachen oder Lächeln bringt. Ab Bassano del Grappa wartet die Staatsstraße. Meine SV und ich kommen wieder wohlbehalten zu Hause an.
Die Vorbereitung auf eine solche Tour ist einfach, wenn man bedenkt, dass man nur wenige Stunden von zu Hause weg ist. Start, wie erwähnt, um 4:00 Uhr morgens, Rückkehr gegen 13:00 Uhr. An einem Tag mit unvorhersehbarem Wetter wie am Samstag, dem 20. August, ist das der einzige Faktor, den man wirklich im Auge behalten muss. An einem normalen heißen Sommertag wären weit weniger Variablen im Spiel gewesen. Daher war es notwendig, sich wie im Frühjahr oder Herbst zu kleiden, mit der bereits erwähnten Stoffjacke und dem zusätzlichen Regenjacke, die ich die meiste Zeit über anbehalten habe. An den Füßen trug ich Sportstiefel, Dainese Axial D1, um genau zu sein, meine bevorzugte Lösung für ‚echte‘ Motorradfahrten, da sie wirklich das Maximum an Sicherheit bieten, das auf dem Markt erhältlich ist, und gleichzeitig so bequem und leicht wie Turnschuhe sind. Wenn es darum geht, meine Füße und Knöchel zu schützen, die ständig auf dem Boden stehen und oft ohne Halt sind, übertreibe ich es gerne ein bisschen. Ich suche immer nach maximaler Unterstützung und Stabilität. Objektiv gesehen wäre auch ein weniger extremer Funktionsschuh oder -stiefel angemessen gewesen, aber gerade der Axial ist so bequem, dass ich gar nicht erst über eine andere Lösung nachdenken möchte. Bei den Händen fiel die Wahl auf einen kurzen Sporthandschuh aus Leder. Während des Großteils der Fahrt litt ich jedoch unter der Kälte, und es wäre gut gewesen, ein zweites, dickeres Ersatzpaar dabei zu haben. Helm: wie immer ein Integralhelm, und angesichts des Starts bei Dunkelheit mit doppeltem Visier: In den ersten Stunden mit dem klaren, ab dem Vormittag mit dem dunklen Visier.
Was die Vorbereitung des Motorrads betrifft, gibt es nichts Besonderes anzumerken. Während der gesamten Tour habe ich einen speziellen Motorrad-Rucksack getragen, nicht das Maximum in Bezug auf Komfort, aber sehr gut zum Verstauen jeglicher Gegenstände, und während der Fahrt stellt er beim Sitzen überhaupt keinen Störfaktor dar. Darin habe ich mein zweites Visier, meine Brieftasche und Dokumente, ein paar Snacks und eine kleine Flasche Wasser aufbewahrt; auch meine Regenjacke konnte ich darin problemlos verstauen. Praktische Alternativen wären auch ein Tankrucksack oder eine Tasche gewesen, die am Beifahrersitz festgeschnallt werden kann.