Luca Tonelli, Jahrgang 1987, langjähriger Tourenfahrer. Schon bevor ich meinen Motorradführerschein hatte, war ich in meinem Element, wenn es um Geländewagen ging, eine Leidenschaft, die mir die Möglichkeit gab, Wüsten zu besuchen und Berge auf verschiedenen Kontinenten zu erklimmen, von Amerika bis Australien, über Afrika und einen kleinen Abstecher nach Russland. Aus dieser tief verwurzelten Faszination für vier (Antriebs-)Räder entwickelte sich auf Drängen eines Freundes ein Interesse an motorisierten Zweirädern. Zuerst ging es mit Sportbikes in den Apennin, um den „Angststreifen abzufahren“, später verschmolzen die Seele des einsamen Reisenden und unbefestigte Straßen zu einem Rezept, von dem man kaum genug bekommt.
Es ist schwierig, die Verpflichtungen eines Unternehmers und den Sauerstoff, den wir zum Leben brauchen – in welcher Form auch immer – in Einklang zu bringen. Wenn man lange Zeit im Stillstand war, gewinnt der unstillbare Wunsch, neue Erfahrungen zu sammeln, die Oberhand über eine vernünftige Planung, für die man ein wenig Ruhe braucht: Als ich zwei Wochen vor Abreise die Reiseroute festlegte, war ich mir nicht sicher, ob ich sie auch einhalten werden könne.
Einundzwanzig Tage, darunter drei Ruhetage, und 9.009 km auf einer Honda Africa Twin 1100, Baujahr 2022, die (wie wir sehen werden) mehr europäische als japanische Züge hat. Auf der Autobahn wollte ich insgesamt nicht mehr als 1.500 Kilometer zurücklegen; der Rest sollte auf Nebenstraßen, Schotterpisten oder Schnellstraßen in der Nähe großer Städte stattfinden, die ich im Allgemeinen eher meiden wollte, außer für explizit geplante Übernachtungen.
Meine Fahrt in die Türkei glich einer Achterbahnfahrt, bei der ich den gesamten Balkan rauf und runter durchquerte, die Hügel Sloweniens, Kroatiens und Ungarns, die Berge Rumäniens und die Ebenen Bulgariens, bevor ich schließlich türkischen Boden erreichte, das eigentliche Ziel der Reise. Dort fuhr ich bis nach Şanlıurfa – Wendepunkt meiner Tour und Tor zum „echten Orient“. Inspiration und Falle zugleich für den vagabundierenden Geist eines Reisenden, der bereits über seine nächsten Ziele nachdenkt, während er noch mitten im vorherigen Abenteuer steckt. Auf meinem Heimweg ging es dann an der Süd- und Westküste entlang, bevor ich schließlich auf schnellem Weg über Serbien wieder nach Italien gelangte.
Ein kurzer Exkurs darüber, wie ich mich auf meine Marathonfahrt in Richtung Osten vorbereitet habe. Da ich in zu einer Zeit gereist bin, in der keine extremen Wetterbedingungen zu erwarten waren, schien mir ein dreilagiger Anzug die klügste Wahl zu sein: warm, wenn es frisch war, ausreichend belüftet, wenn ich auf Hitze stieß. An Kopf und Fuß, Adventure-Stiefel und -Helm; perfekt, da ich mehrere Abstecher ins Gelände unternahm. Ein zusätzlicher wasserdichter Anzug ist ebenfalls ein Muss, denn wenn es einmal richtig regnet, kann man an wasserdichter Ausrüstung nie genug haben.
Auf die Africa Twin habe ich drei geräumige Softbags geschnallt sowie geschlossene Handschützer (zum Schutz von Brems- und Kupplungshebel) und einen Schutzbügel an den Seiten des Motors angebracht. Als Reifen habe ich mich für die Mitas E-07 entschieden, ein guter Kompromiss zwischen Haltbarkeit und Sicherheit im Gelände. Eine Halterung für das Navi in der Mitte des Lenkers – und es kann losgehen!
Der Balkan würde mehr Zeit und Aufmerksamkeit verdienen, denn bei der Fahrt gen Osten stehen die verschiedensten Routen zur Verfügung. Doch wer ein Ziel im Auge hat, das unzählige Kilometer von zu Hause entfernt liegt, muss Prioritäten setzen.
Ein Wolkenbruch auf der A4 kurz vor Triest scheint die Gedanken und Sorgen wegspülen zu wollen, die mich belasten und mich daran hindern, mit Geist und Körper zu fliegen. Ich verlasse Italien und die Autobahn, irre durch Wälder, überquere Grenzen und mache ein paar hoffnungsvolle Abstecher auf unbefestigte Straßen, die sich dann nur wenige Kilometer vom Asphalt entfernt als gesperrt entpuppen. Etwa 700 km später hebe ich meine Tasche im Dunkeln vom Gepäckträger, vor einem Hotel, das nichts dafür tut, einen Lebensstil zu verbergen, der sich bereits deutlich von dem unseren unterscheidet. Die Kette schmieren, Ćevapčići und Gute Nacht.
Die folgenden Tage führen mich aus Kroatien nach Ungarn, von wo aus ich nach Rumänien einreise und in der Nähe der eindrucksvollen Burg der Corviner, einer Festung aus dem 14. Jahrhundert, in Hunedoara übernachte. Als ich aufwache, richte ich meine Räder gen Süden in Richtung Bulgarien. Ich nehme die berühmte Transfogarascher Hochstraße (die als eine der schönsten Straßen Europas gilt) und begegne einigen flauschigen Sohlengängern, die hier beheimatet sind. Ich überquere die Donau über die eindrucksvolle und über 2 km lange Freundschaftsbrücke (1954) – und damit auch die Staatsgrenze. Nun bin ich in Bulgarien und ende auf dem belebten Hauptplatz von Russe, das mich positiv überrascht.
Ich versuche, mich mit dem kyrillischen Alphabet vertraut zu machen, das frech die Straßenschilder dominiert, und fahre auf die Hügel im Südwesten: Von hier genieße ich den Ausblick auf Weliko Tarnowo, das mich mit seinen Häusern und Gassen und seiner Authentizität beeindruckt. Es handelt sich um die alte bulgarische Hauptstadt, die an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt liegt. Die Africa Twin schlängelt sich flink durch die Wälder, auf asphaltierten, aber ausgesprochen schlecht ausgebauten Straßen. In einer relativ abgeschiedenen Gegend erreiche ich das Haus Denkmal der Bulgarischen Kommunistischen Partei, Busludscha, das 1990 geschlossen wurde, aber immer noch die umliegenden Täler dominiert. Busludscha ist ein brutalistischer Koloss aus Stahlbeton, das die raffinierte Pracht der jüngeren Vergangenheit perfekt einfängt. Als ich von der Existenz dieses Orts erfahren hatte, brannte ich sofort innerlich darauf, ihn zu besuchen – ohne genau zu verstehen, warum. Eine Intuition, ein unbändiger Wunsch. Und auch meine japanische 1100er genießt die frische Luft hier oben, bevor es zurück in die Hitze geht, in Richtung Türkei, mit Halt in Edirne.
An der Grenze verläuft alles reibungslos (was man für die LKW-Fahrer nicht behaupten kann, die in einer 8 Kilometer langen Schlange warten) und ich komme endlich an meinem Ziel an: die Türkei. Viele Jahre habe ich von diesem Moment geträumt, seit ich das Land zum ersten Mal als Ziel ins Auge gefasst hatte. Das obligatorische Selfie vor dem Länderschild und weiter geht es mit der Suche nach einem Geschäft, um eine SIM-Karte von Türk Telekom zu kaufen, und nach einem ruhigen, gehobenen Hotel für eine wohlverdiente Pause. Ich nutze den vorteilhaften Wechselkurs und auch die Tiefgarage, um in aller Ruhe Wartungsarbeiten durchzuführen.
Das Land der Katzen: So habe ich die Türkei getauft – und insbesondere Istanbul, wo ich einen halben Tag später (und nachdem ich die Kupplung ordentlich strapaziert habe) mit meinem voll beladenen Motorrad über steile Straßen ein ziemlich schäbiges Hotel erreiche, das aber sehr strategisch im zentralen Viertel Sultanhamet liegt (ein heißer Tipp von Bekannten, die hier schon mehrere Male genächtigt haben).
Endlich habe ich einen Tag lang Zeit zum Ausruhen und besichtige Istanbul. Auch wenn mir bewusst ist, dass die Zeit knapp ist, spüre ich die gebotene Ehrfurcht vor dieser Hauptstadt mit einer turbulenten Vergangenheit, die ihre Geschichte und Kultur geprägt hat. Und ich spüre auch ihre Magie – denn durch ihre geografischen Lage gilt sie als das wahre Tor zum Osten. Und dann sind da noch die Katzen. Katzen überall, auch auf meiner Africa, die am Morgen der geplanten Abreise immer noch Probleme bereitet. Sie will nicht starten. Abgesehen davon, dass sie die einzige unter meinen bisherigen Hondas ist, die Öl verbraucht, scheint sie die türkische Hauptstadt aufgrund eines Problems mit der Zündung nicht verlassen zu wollen. Ein Problem, das mir bereits vor meiner Abreise bekannt war und sich bereits in Russe gezeigt hatte, schreit nun immer dringlicher nach einer Lösung.
Ein Engländer, den ich beim Busludscha-Denkmal kennengelernt hatte, informiert mich über einen ihm bekannten Honda-Händler, zu dem er einmal aufgrund einer planmäßigen Wartung seiner ATAS DCT gegangen war. Doch er lässt kein gutes Haar an der Werkstatt: Leider ist man dort eher mit Motorrädern – den sogenannten Motosiklet – mit kleinem Hubraum vertraut als mit den im alten Europa so beliebten „Bisons“. Ein lahmes Pferd ist immer noch besser als Zufußgehen, denke ich, und gebe dem Ganzen eine Chance (Inshallah).
Endlich lasse ich die Zivilisation hinter mir, wohl wissend, dass ich sie leider in Kappadokien erneut antreffen werde – und zwar in voller Wucht. Ich fahre in Richtung Südosten, überquere Pässe auf 1.600 Metern, die gegen die Sommerhitze Wunder wirken (obwohl es bereits Ende September ist!), und erreiche bei Abstieg das kleine Dorf Sivrihisar, das im Vergleich zu den anderen Dörfern in der Umgebung unerwartet lebendig ist: Denn hier wird, wie man mir stolz berichtet, die am längsten laufende türkische Fernsehserie (Gönül Dağı) gedreht: Ein Abendessen mit den Darstellern in dem Gebäude, in dem ich in dieser Nacht schlafen werde, verleiht meiner Motorradtour durch die Türkei einen Hauch von Mondänität.
Kappadokien wartet auf mich, doch auf dem Weg dorthin möchte ich mir den Salzsee Tuz Gölü nicht entgehen lassen: Meine Erinnerung an den Salar de Uyuni ist immer noch sehr lebendig und ich bin sehr neugierig, auch wenn mir bewusst ist, dass die Landschaft hier niemals an den bolivianischen Salar wird heranreichen können. Zudem habe ich auch einen wirklich schlechten Tag erwischt: Es sieht nach Regen aus, und ein Sturm aus Wind und Staub (Sand ist etwas anderes) fegt über mich hinweg. Ich versuche, mit Hilfe meines Navis zwischen den Gewitterwolken Slalom zu fahren, und schaffe es, etliche Kilometer trocken zurückzulegen – auf einer unbefestigten Straße, die einen von der Hochebene auf diesen doch recht großen Salzsee befördert. Ich beschließe, ihn nördlich zu überqueren, auf einem Zufahrtsweg zu einer Saline.
Man begreift, wenn man kurz vor der Ekstase steht. Das in der Luft schwebende Adrenalin, befeuert durch den starken Wind und die vorbeiziehenden Gewitter, lässt langsam das rechte Handgelenk vibrieren. Die Vibration durchläuft schnell das Nervensystem bis in den Nacken und – sobald das Gehirn den Befehl gibt – läuft ein Schauer über den Rücken und die Augen weiten sich. Das Handgelenk dreht das Gas bis zum Anschlag und ich brettere im vierten Gang mit 160 km/h über diesen Streifen aus Schmutz und Salz.
Kurz darauf bringen mich Rillen aus getrocknetem Schlamm und Unebenheiten dazu, das Gas sanft loszulassen, wobei ich das Gewicht stets nach hinten verlagere. Es ist vielleicht nicht Uyuni, aber es ist trotzdem sehr schön – bis ich am Ufer gegenüber das Gewitter nahen sehe. Durch die Schlammpfützen und später auf dem rutschigen Asphalt fahre ich aus Vorsicht langsamer und komme am Abend etwas erschöpft in Göreme an – denn meine Mittagspause hat mir heute der Wind vereitelt.
Kappadokien ist genau so, wie man es erwartet: Sowohl landschaftlich als auch in Bezug auf die touristische Infrastruktur enttäuscht es nicht. Leider. In der Tat hatte ich eine hochentwickelte Tourismus-Maschine erwartet, die Menschen aus der ganzen Welt anzieht, und das aus gutem Grund. Die wichtigsten Aussichtspunkte und Sehenswürdigkeiten befinden sich alle im Umkreis von wenigen Kilometern und sind zu jeder Tageszeit überfüllt, nicht nur bei Sonnenauf- und bei Sonnenuntergang. Heißluftballonfahrten, Quadtouren, Wanderungen durch bizarre und faszinierende Felsformationen. Auch die Menschen haben ihre Spuren in Form von alten Zivilisationen hinterlassen: unterirdische Städte mit engen Gängen und ausgeklügelten Lüftungskanälen, die von Hand bis zu 85 Meter unter der Oberfläche gegraben wurden, wie Derinkuyu, Kaymaklı, Özkonak, Saratlı und Mazıköy (8. und 7. Jahrhundert v. Chr.). Oder das weniger bekannte, aber sehr schöne Kloster von Selime, ein Komplex 80 km südlich von Göreme aus dem 8. oder 9. Jahrhundert n. Chr., der bis zu 5.000 Menschen fassen konnte. Es liegt in der Nähe des Ihlara-Tals, das von einem Fluss durchquert wird: Hier empfehle ich Rast zu machen, um auf den über dem Bach schwebenden Tischen in kühler Frische zu Mittag zu essen.
Beinahe erschöpft vom zweiten „Ruhetag“ und dem vielen Tourismus breche ich gen Westen auf. Ich verlasse Kappadokien. Auf einer gut befahrbaren, unbefestigten Straße erreiche ich die Karawanserei Sultanhani; von dort aus geht es weiter auf dem Asphalt, was mir aber bald zu langweilig wird. Als ich einen Blick auf mein Garmin-Navi werfe, sehe ich eine Nebenstraße, die zwei große, etliche Kilometer lange Halbkurven zu schneiden scheint, und ich lasse mich verführen. Je tiefer ich in das türkische Hinterland eintauche, desto schlechter wird der Mobilfunkempfang: Die Strecke besteht teils aus Schotter, teils aus Erde, durch eine unruhige Landschaft mit Stoppelfeldern, die nach dunkler, nasser Erde riechen (hier wird gerade Stoppelbrennen durchgeführt, um die Felder zu reinigen). Hin und wieder sieht man Schäferhütten auf halber Hügellage, bewacht von den furchteinflößenden Kangal-Hirtenhunden mit den charakteristischen Anti-Bären-Halsbändern, die mich aus der Ferne mustern, während ich anhalte, um meinen Regenschutz an- oder auszuziehen.
Anscheinend bedeuten Schotterstraßen Gewitter – zumindest auf dieser Reise. Glücklicherweise werden die Pausen zu einer Gelegenheit, mit äußerst gastfreundlichen Kurden in den Raststätten türkischen Tee zu trinken. Ich übernachte in Divriği, dem seldschukischen Namen der Stadt, der bis heute überlebt hat. Ihre Ursprünge reichen wahrscheinlich bis ins Hethiterreich zurück. Sie beeindruckt durch ihre mittelalterliche Festung, die auf dem Felsen thront, und ihre Moschee, die als eines der bedeutendsten Bauwerke der islamischen Architektur in Anatolien gilt. Das Abendessen gibt es in einem lokalen Restaurant, keine Spur von Touristen, nur ich und der Wirt. Wir unterhalten uns über Google Translate und ich nicke, sobald er mir Gerichte vorschlägt, deren Namen mir bekannt vorkommen. Ich verabschiede mich früh und mache mich auf den Weg zu dem kleinen Hotel, das an einer steilen Nebenstraße liegt.
Als nächstes werde ich den Landkreis Kemaliye durchqueren, um dann nach Şanlıurfa zu fahren, das wahre Tor zum Osten. Die Reise geht weiter, lesen Sie hier den nächsten Teil: Marathon nach Osten, die Rückfahrt: mit dem Motorrad von der Türkei nach Italien