Frische Luft, die Straße, unser Motorrad: Das sind Dinge, die uns allen gerade sehr fehlen. Ist endlich der Moment der Freiheit gekommen, sollte unser Motorrad bereit sein – sauber und glänzend. Und wir sollten wissen, wohin uns unser Weg führt. Auf keinen Fall soll es eine banale Ausfahrt werden – nein, wir sind auf der Suche nach der besten Fahrt unseres Lebens!
Wir entscheiden uns für einen Bergpass, den schönsten Bergpass der Welt, mit einem bunten Durcheinander an Kurven und Serpentinen. Doch welcher Bergpass ist der schönste? Ich mache mir schon lange Gedanken darüber, welche fünf italienischen Bergpässe ganz oben auf der Liste stehen und auf jeden Fall einen Tagesausflug wert sind. Ich möchte sie hier vorstellen. Natürlich handelt es sich um ein sehr persönliches Ranking, bei dem ich mich ganz von meinen Gefühlen und Erfahrungen habe leiten lassen. Doch bestimmt ist es ein nützlicher Ausgangspunkt, um sich inspirieren zu lassen oder auch, um es gänzlich umzuwerfen.
Beginnen wir mit dem fünften Platz: dem Passo di Giau. Er befindet sich in den von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärten Dolomiten bei Cortina in der Provinz Belluno. Für die Route, die Natur, den gepflegten Asphalt (zumindest war das vor ein paar Jahren so) und die atemberaubenden Gipfel würde der Giau mit seinen stolzen 2.236 Höhenmetern eigentlich eine bessere Platzierung verdienen, mindestens den zweiten Platz! Doch leider herrscht viel Verkehr, manch einer fährt zu schnell und die daraus resultierenden Verkehrskontrollen sind auch für diejenigen lästig, die eigentlich zu einer entspannten Tour aufgebrochen sind.
Beim Rennen um den vierten Platz konnte ich mich nicht entscheiden. Gleichstand also für die beiden Pässe im Apennin, Passo del Cerreto (RE) und Passo del Muraglione (FC), die sich sehr ähnlich sind. Wer wie Paolo Casoli aus Reggio Emilia stammt, ist sicher überzeugt davon, dass „ihr“ Pass mit einer stolzen Höhe von 1.260 Metern seinen kleineren Bruder um Längen schlägt; jemand aus Forlì wie Loris Reggiani wird seine Stimme hingegen dem Muraglione geben, der zwar nur auf 900 Höhenmeter kommt, dafür aber umso berühmter ist. Was beide gemeinsam haben, ist ihr Status als wahre Heiligtümer unter Motorradfahrern. Bei einer Ausfahrt am Wochenende kann es auf den Straßen zu Trubel kommen. Mein Tipp: Wenn möglich, einen Tag unter der Woche vorziehen, um die Pässe in all ihrer Schönheit zu genießen.
Den zweiten Platz in der Gesamtwertung belegt für mich das Stilfser Joch. Mit seinen 2.750 Höhenmetern ist er der höchste Pass Italiens und der zweithöchste Europas. Im Winter ist er wegen des Schnees gesperrt und außerdem kann er nicht als Rennpiste genutzt werden, da der Asphalt stark beansprucht ist. Im letzten Sommer habe ich dem Pass erneut einen Besuch abgestattet und es war sehr viel besser als erwartet: Von Bormio aus geht es einundzwanzig Kilometer bergauf und es gilt, 36 Haarnadelkurven und einen Höhenunterschied von 1.500 Metern zu bezwingen. Es ist immer ein Vergnügen, auch bei Verkehr und mit einem Motorrad, das nicht ganz schwindelfrei ist. Das Stilfser Joch ist mehr als ein Pass, es ist ein Stück Geschichte.
Doch meine absolute Nummer eins ist der Passo della Cisa. Viele werden mir zustimmen, andere nicht. Es handelt sich um einen Pass im Apennin wie so viele andere: mit tausend Metern Höhe, Ortsverkehr, Radarkontrollen und dem Risiko, auf Einheimische zu treffen, die auf Motorradfahrer nicht besonders gut zu sprechen sind. Doch mir ist er in all den Jahren sehr ans Herz gewachsen: Es gab keine alternative Straße von Fornovo nach Berceto, also nahm man den Pass und fuhr durch Schnee und Eis. Jedes Mal, wenn ich den Passo della Cisa hinauffahre und einen Blick auf die grüne Lunigiana werfe, geht mir das Herz auf.
Und ich bekomme leichten Hunger. Also düse ich in die Trattoria Marietta im Tal, die für ihre wunderbare Küche bekannt ist, und entspanne mich ein bisschen unter den Kastanienbäumen. Orte wie diese gibt es auf allen Pässen: Wenn man mehr als drei geparkte Motorräder sieht, heißt das, dass man an der richtigen Adresse ist.